Versicherungs-Reeperbahn in Gefahr

■ Standplätze der Autoversicherer vor der Kfz-Zulassungsstelle sollen geräumt werden

Riesige Schilder in greller Leuchtfarbe locken, bunte Birnen flackern, Pfeile weisen auf die dubios kleinen Eingänge der Etablissements. An einer Türschwelle liegt wachend ein Chihuahua. Nur noch ein schmaler Streifen Gehsteig ist frei, Stellschilder versperren den Weg. Porno- und Sex-Zentrum Kreuzberg? Große Freiheit in Berlin?

Nein: Jüterborger Straße. Dort, am Kraftverkehrsamt, hat sich über Jahrzehnte hinweg ein bürgernaher Dienstleistungs -Basar etabliert.

Autoversicherer und Autoschilder-Hersteller lauern in häßlichen Uraltwohnwagen und sterilen Bürocontainern auf KundInnen. Wie gelangweilte Aquariumfische glotzen sie durch die kleinen Scheiben und warten auf die An- und Ummelder. Auf 500 Metern ist von „Allianz“ bis „Zürcher“ alles vertreten - eine bundesweite Einmaligkeit.

Doch das bunte, pluralistische Idyll vor dem dunkel -dräuenden Backsteinkomplex des Kraftverkehrsamtes ist gefährdet. Schon vor zwei Jahren wollte das Tiefbauamt die Wohnwagen, die auf der rechten Straßenseite stehen, räumen. Die Wagen verschandelten das Stadtbild, und außerdem sei ein Gehsteig nicht dazu da, Versicherungsagenten billigen Büroraum zu bieten (pro Wohnwagen 100 Mark Pacht im Monat). Bisher wurden die Vertreter geduldet, weil ein Amtsneubau vorgesehen war. Doch seitdem klar ist, daß der nicht kommt, fahren die amtlichen Tiefbauer harte Linie.

Um den rechtsfreien Raum an der Bordsteinkante ist seither ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht anhängig, denn die Versicherer und Schildermacher wollen nicht weg.

Einen politischen Kompromißvorschlag des Senats, nämlich normale Bedingungen des Straßenhandels (das heißt höhere Miete) und angemessene Fassaden für die Wohnwagen, lehnen Vertreter und Kennzeichenmacher bisher ab. Besonderer Dorn im Auge der Behörden ist, daß die Vetreter, die mehrere Wohnwagen in der Straße stehen haben, Wagen weitervermieten für Preise, die zehn- bis 20mal höher liegen als die Pacht.

Da haben es die Containerbewohner auf der linken Straßenseite besser. Ihre Blechkästen stehen auf dem Gelände der evangelischen Dreifaltigkeitsgemeinde und sind nicht von der Räumung bedroht. Allerdings kassiert die Kirche mehr. 400 Mark pro Monat und Container, wovon 125 Märker als Spende direkt ans Gemeindehaus vor Ort zu entrichten sind (das Geld kommt der Kinder- und Familienbetreuung zugute). Nicht nur damit erweisen sich die Kiez-Evangelen als wahre Christen: Als sie von Wucher-Untermietverträgen der Versicherer hörten, kündigten sie auch schon mal alle Mietverträge.

Wenn der Versicherungs-Strich nicht geräumt wird, stehen dann demnächst Buden der Juweliere rund ums Standesamt und Reisebüro-Container an der Meldestellen?

Kotte