Diktator Pinochet macht auf normal

■ Der seit dem Militärputsch 1973 geltende Ausnahmezustand wurde aufgehoben / Entscheidung steht in Zusammenhang mit baldigem Plebiszit / Pinochet will Image des Diktators loswerden / Laut amnesty international bleiben Entführung, Folter und Mord Normalzustand

Santiago (afp/ap/taz) - Zum ersten Mal, seit er sich 1973 an die Macht putschte, hat Chiles Diktator den Ausnahmezustand aufgehoben. Damit ist es den staatlichen Organen nun verboten, Personen bis zu 20 Tagen ohne Haftprüfungstermin festzuhalten, auf administrativem Weg bis zu drei Monaten in die Verbannung zu schikken oder des Landes zu verweisen. In den letzten Jahren hatte Pinochet mehrere Male zusätzlich zum Ausnahmezustand vorübergehend auch den Belagerungszustand verhängt.

Daß nun nach 15 Jahren Diktatur zum ersten Mal rechtlicher „Normalzustand“ herrscht, hängt unübersehbar mit dem anstehenden Plebiszit zusammen. Anfang Oktober soll das Volk Ja oder Nein zum Präsidentschaftskandidaten sagen, den ihm die Militärs ohne Alternative vorsetzen werden und der das Land die nächsten acht Jahre regieren soll. In Chile zweifelt kaum jemand daran, daß der Kandidat Pinochet heißen wird. Ihre Entscheidung wollen die Oberkommandierenden der Teilstreitkräfte - unter ihnen also Pinochet als Heereschef selbst - am 30.August treffen. Offenbar unter dem Druck einer drohenden Niederlage beim Plebiszit bemüht sich Pinochet, das Image des Diktators loszuwerden und sich als ziviler Politiker zu profilieren.

Wenige Stunden nach der Aufhebung der Ausnahmebestimmung wurde in London der neueste Bericht von „amnesty international“ zur Situation in Chile veröffentlicht. Die Menschenrechtsorganisation stellt fest, das Todesdrohungen, Entführungen und Folter zu den bevorzugten Methoden der politischen Unterdrückung geworden seien. In den letzten 18 Monaten sind laut ai mehr als 100 Chilenen von Kommandos, die von den Sicherheitskräften kontrolliert würden, überfallen oder verschleppt worden. Hunderte hätten Todesdrohungen erhalten. Eingeschüchtert würden ganze Familien, Kinder eingeschlossen. „Jeder, der als kritisch der Regierung gegenüber eingeschätzt wird, riskiert Schikanen, und Tausende leben in der Angst vor möglichen Mißhandlungen“, heißt es im Report. Opfer sind, so ai weiter, vor allem Führer von Organisationen in Armenvierteln, Oppositionspolitiker, Gewerkschafter, Geistliche und Anwälte.

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