Ein Spion aus Liebe

■ Der handfeste Spion entpuppte sich im Prozeß als kleiner Fisch

Bitter enttäuscht wurden gestern die Vertreter der Berliner Lokaljournaille, die am frühen Morgen in Erwartung eines handfesten Spionageprozesses ins Kammergericht geeilt waren: Der 45jährige Einzelhandelskaufmann, der sich nach sechs Jahren „geheimdienstlicher Agententätigkeit“ für den Stasi im vergangenen Jahr beim hiesigen Staatsschutz selbst angezeigt hatte, entpuppte sich als kleiner Fisch.

Getrieben von dem Wunsch, zu seiner Gelieben nach Ost -Berlin übersiedeln zu können, ohne zuvor in ein Übergangslager zu müssen, war der Mann 1981 auf das Angebot des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MFS) eingegangen, für „Frieden und Vaterland“ zu spionieren. So hatte er sich im Verlauf der sechs Jahre an die 80mal mit seinen Führungsoffierzieren in einer konspirativen Wohnung am Prenzlauer Berg getroffen und ihnen dort West-Berliner Straßenkartenmaterial zugesteckt. Im übrigen hatte sich der gehbehinderte Mann im Westteil der Stadt die Hacken abgerannt, indem er auftragsgemäß Leute - unter anderem auch einen Steuerfahnder - observierte, Namen von Klingelleisten abschrieb und Haupt- und Nebeneingänge ihm zuvor benannter Wohnhäuser fotografierte. Die Gegenleistung belief sich auf insgesamt 16.000DM und ein Dauervisium für die DDR, das für die Aufenhalte bei der Geliebten auch reichlich strapaziert wurde.

Im August vergangenen Jahres kam das böse Erwachen. Der Stasi offenbarte dem Mann, daß er nicht mehr benötigt werde, und forderte ihn auf, ein Entpflichtungsschreiben zu unterzeichnen. Doch daß er damit gleichzeitig auch zur unerwüschnten Person in der DDR geworden war, erfuhr der Mann erst, als er das nächste Mal nach Ost-Berlin einreisen wollte. Die Enttäuschung und der Wunsch, reinen Tisch zu machen, trieben den Mann zum hiesigen Staatsschutz. Nachdem er von diesem ausgepreßt worden war wie eine Zitrone, landeten die Akten bei der Staatsanwaltschaft am Kammergericht. Der gestrige Prozeß, der mit zehn Monaten Haft auf Bewährung zu Ende ging, war nur noch eine Formalie.

Damit könnte die mittelmäßige Agentengeschichte zu Ende sein, wären dem Mann nicht vor wenigen Wochen wieder die Pforten zur DDR geöffnet worden. Nun kann er seine Geliebe zwar wieder regelmäßig besuchen, setzt sich damit aber gleichzeitig der Gefahr einer Verhaftung aus, weil er sich in seinem Entpflichtungsschreiben zum Stillschweigen verpflichtet hatte. Auf die Frage des Gerichts, warum die Frau nicht in den Westen übersiedelt, hatte der Angeklagte gestern traurig erwidert: „Sie ist Eigentümerin einer Heizungsfirma und dreier Grundstücke, ich kann ihr hier doch nicht bieten, was sie drüben hat.“

plu