KATASTER UND KATHARSIS

■ „Lasset die Kärtlein zu mir kommen“ - ein Zweiteiler von Thomas Kapielski

„Lieber Gott im Himmel, schenk mir einen Negerpimmel!“ Stand ganz klein mit Konfirmandenfilzstift hinten im Evangelischen Gesangsbuch drin, aus dem ich letzten Sonntag früh gesungen habe. Aber davon später. Es handelt sich hier um einen Zweiteiler.

Teil 1. Vaufau: Mittwochsplenum bei der taz letzte Woche. Geh ich mal hin, wollte auch mal so einen deftigen Flügelstreit erleben, mit „Redakteur Wegner, Sie sind ein Arschloch!“ An Stelle dessen passiert garnüscht. Halb sieben und nichts. Schließlich tröpfelt das so fatal verpennt und hochschulartig gegen halbe acht auf sagen wir Stücker 40 Personen um den großen Tisch herum, wo angeblich noch die mit den Terrormessern der Kommune 1 eingeritzten Schweinereien erst mal abgehobelt werden mußten, vor balde 10 Jahren.

Also, die Frau muß hier etwas zu sagen haben; es fängt nämlich eine an zu reden, so eine mit femmemodischer Strickjacke, - falls zu kühl werden sollte. Und sie berichtet, es sei da ein Ausschuß am Tagen, und - wie wir alle wissen - sei dieser gebildet worden, weil das so ziemlich scheiße läuft mit der TAZ. Ja, da schau her, denk ich! Ist das so? Ja, man habe nun einige Male getagt, der Ausschuß da, und man sei nun zu einem Ergebnis gekommen, so ein Arbeitsergebnis habe man feststellen können, nämlich: Es läuft Scheiße mit der TAZ. Wie dieser Chefzimmerwitz, wo hinten so eine Kurve an der Wand abrutscht, und die Putzfrau dreht das um 45 Grad. Jedenfalls, die Leserzahlen sinken. Die Neuen Chefs lassen sich deshalb ja diese Kurven heutzutage von Künstlern machen, von Cy Twombly, z.B. so einen innovativen Optimismus produziert das, und soll auch helfen! Insofern also hat man heute die Putzfrau durch den Künstler ersetzt, andersrum ist es ja durch die Beuys -Badewannengeschichte verhindert worden. Leider.

Also gut. Jetzt sagte die Frau mit der Strickjacke (die übrigens ein Bauhaus-Poster mit lauter gedämpft warmfarbigen Würfeln, also eher klassische Moderne, an ihrer Chefwand aufgehängt hat), sie hätte, damit das jetzt besser würde, sich da was ganz Raffiniertes ausbaldowert mit Karteikarten. Blaue und gelbe. Alle verblüfft! Obwohl, gar nicht mal, die Hälfte vielleicht. Sie erklärt, was wir jetzt anstellen mit den Karteikarten - aber sieh an! die Schlaumeier hier, die sonst jede Schweinerei weltweit wittern, sind jetzt schwer von k.p. Also noch mal von vorne. Und nun fangen welche auch noch an rumzufeixen, und mir wird ganz komisch. Du liebe Güte! denke ich, gibt's denn das immer noch, daß man bei zum Scheitern verurteilten großen Arbeitsvorhaben erst mal zum Schreibwarenladen pest und 500 Karteikarten kauft, weil dann ein Tag wenigstens schon mal dieser Vorsatzwahn seine Notration bekommt, weil man zwischen sich und der ganzen hoffnungslosen Scheiße erstmal diese 500 Blatt zu liegen bekommt. Auch dieses Berufsberater-Syndrom, so gewichtig mit Zetteln und Ausfüllen rummachen und das möglichst lange hinziehn, weil am Ende sowieso nur zwei Bäckerstellen noch frei sind. Mensch, hier kreisen doch die Geier schon drüber. Das kann doch hier nicht die TAZ sein? Das riecht nach prolongierten Wechseln, nach Geheimverhandlungen und Untergang! Das wird hier mit den in schwedischen Landesfarben gehaltenen Karteikarten geschickt ins sozialliberale Mensch-ärger-dich-nicht umfunktioniert! Man hat ja selber nun diverse Pleiten erlebt und kennt das, diesen völlig irrationalen Rettungsbootoptimismus, wenn das Trinkwasser alle geht und die Not- und Überlebensbüchsen, wo die Karteikarten mit drinne liegen, wenn die aufgemacht werden. Und das sieht nur ein Fremder. Das ist das Tragischte an so Untergängen.

So! Nun kam aber doch frohe Stimmung auf. Es sollten Verbesserungsvorschläge auf die Karteikarten rauf, man hatte das jetzt soweit verstanden, und nach etwa stumm 20 Sekunden Kulilutschen ging das auch munter los. Dann wurde das aufgehängt. Jetzt kam sogar bei mir wieder Optimismus auf, denn ich machte Tesafilmstreifen fertig und bekam viel Lob dafür. Zack, schon sitzt man mit an der Notbüchse! Jetzt wurden die Verbesserungsvorschläge vorgelesen, und da kam dann so eine Art Putzwahn hoch bei allen. Das sinkende Schiff wurde neu möbliert, ja!, hier sei ein Blumenstrauß von wohlfeiler Wirkung und dort - genau!, eine dumme alte Gewohnheit neu zu überdenken. Es wurde auch gehäuft 'ein Stück weit‘ gesagt.

Man müßte ein Stück weit dies und das. Und alles ging doch sogar ein ganzes Stück weit so heiter fort, bis einer die taz mit einem Bioladen verglich, der im Angesichte des pekuniären und moralischen Todes die Schaufenstergestaltung zum Anlaß großer Hoffnungen und neuer Aussichten nähme. O je! Da ging ein düsteres Gelächter durch die Reihen der Sterblichen! Man schlich auseinander, duckte sich, von Not bedrückt, schwer hoch aus den Kommune 1-Fauteuils. Herr, gib uns noch nächste Nummern ohne Last und Mühsal. Und wie auch ich so müde fortschlurfe, kommt eine Redakteurin und fragt mich, ob ich Sonntag früh für den geneigten Leser doch bitte in den Evangelischen Gottesdienst gehen möchte, wo der Senator Hassemer eine Predigt zu halten beabsichtigt. Entgeistert starre ich sie an und denke, mein Gott, da ist er, der 'Letzte Wunsch‘! Die Agonie des Kulturthemenvorrats fegt wie ein kalter Rauch durch die Redaktionsräume und gebiert ein letztes verzweifeltes Abstimmungsverlangen, man möge doch bitte mit Rauchen aufhören!

2. Teil. Sonntag halb zehn. Und bloß nicht zu spät! Ich hätte mich nicht reingetraut, da so reinpoltern und die Omas gucken sich alle um. Und da sitze ich nun zeitig in der letzten Reihe, freue mich des schönen hellen Raumes, an den Seiten so komische ultradorische Säulen mit Zipfelmützensockeln, ein mildes Marmorimitat verleiht dem Raume edle Einfalt mit entsprechend schlichter Größe. Von hinten gesehen linkslastig am Mittelgang entlang verteilen sich vorwiegend ältere bis sehr alte Frauen. Wir sind neun Personen! Also kreist über dem Hassemer auch schon der Geier? Gibt's da jetzt dieses Stockholm-Syndrom, Angleichung der Gegenpole im gemeinsamen Untergang?

Denkste. Die Glocken gehen los und zwei Konfirmandinnen kommen rein, setzten sich rechts und balancieren das jetzt geschickt aus, die Sitzordnung. Und nun geht's doch los, sie strömen herein! Einer piepst schon mal an der hübschen Schrankorgel vorne. So ein Küster macht noch aufgeregt hier und da rum, es ist wie beim Auftritt vor ganz großen Dingern. Kleinkinder kommen! Die Tür, die eichene Flügeltür fliegt auf und weiten Schrittes kommt der Herr Paster von hinten nach vorne geschritten. Mensch, der sieht ja aus wie du! Denke ich, und also leider auch ein bißchen wie'n EDEKA -Filialleiter. Aber doch imposant! Es orgelt los, und wir sind angehalten, den Psalm 121 mitzusingen, was ich auch gerne tun will. Intro; der hübsch einfachen Notenkette läßt leicht sich folgen: „Ich heb meine Auuuugen seeeeeehnlich auf...“ Was ist jetzt los? Alles dreht sich nach mir um, weil das nun inzwischen wohl völlig ungewöhnlich ist, das Mitsingen. In der Not schmunzel ich zurück: Ich singe gern! Und wie sie nun alle wieder nach vorne gucken, was der Herr Paster jetzt wohl dazu meint, da meint der auch: prima! Hier muß wieder geschmettert werden, und tief Luft holen! So. Knick-knack, aufstehn, hinsetzen, und nun wundere ich mich schon, wo der Hassemer bleibt. Der wird doch hier nicht als Terminhechler aufkreuzen? Oder vielleicht kommt er wie Orpheus irgendwo von hinten so eine Luke rauf? „Liebe Gemeinde, wir haben uns heute hier versammelt, während des Gottesdienstes die Taufe des kleinen Adrian zu vollziehen..!“ Gott schütze dich, Redakteurin! Sonntag früh halb zehn! Aber da singen wir auch schon wieder, und jetzt geht eine Saul-Epistel los, die hochinteressant ist.

Und wie ich dann doch gedanklich so abschweife und so einen stieren Blick kriege, so diese karthäusische Abwesenheit, da sagt mir mein Kopp, mit der taz kann das gar nicht den Bach runtergehn. Wieso nich? Weil, wenn du dir mal die taz aus 'Spiegel'- oder 'Rundschau'-Archiven rauslegen läßt, dann isses doch so, daß da die ganzen Stullenkrümel und Kaffeeflecken drin sind und nicht in der 'Welt‘ oder was weiß ich. Und was sagen uns die Stullenkrümel? Daß sie sich in allen Redaktionen und in was alles für Amtsstuben früh um die zwei taz-Exemplare raufen, wer die zuerst liest! Das ist doch die billige Innovationskiste, die taz, die Hoffnung einer Branche, die rationalisierte privatwirtschaftliche Journalistenhochschule, das können die sich nicht vermurksen. Wenn also die taz vor die Hunde geht, dann fangen die so ein Gezeter und so eine Reklamekampagne an, damit denen das erhalten bleibt. Gut, das werden die nur so weit machen, mit der Auflage hochpumpen, bis der Niedriglohn wieder bezahlt werden kann. Sonst könnten sie ja den Rahm nicht weiter abwerben. Aha! Also werden sie beim 'Spiegel‘ nächste Woche auch mal diese Sache mit den Karteikarten ausprobieren! Na, das sind doch ganz gute Aussichten. Wie und Was?

„Und jetzt alle aufstehen, es wird getauft!“ Und nun wünscht der Savonarola dem Adrian da so herzergreifend das Beste im Leben, daß mir doch nun wirklich die Tränen hochkommen! So wie's mir auch bei den Filmen da geht, wo du denkst, was is nu los!? Und nun sagt der auch noch: „Herr, wir danken dir, daß du kein stummer Gott bist, sondern mit uns redest?“ Und aufs Geld käm's nicht so an, sondern auf die Kraft der Tat voller Glauben! (Apostel, 3. Kapitel). Bumm. Wir singen nochmal was Entsprechendes, und es ist Schluß.

Aber noch eine Mitteilung: Über Nacht sei eine moderne Rostplastik vors Kirchhaus gekommen, und der Senator wird's um halb zwölf erklären. Mit Stockhausen an der Orgel. Nee, also das kennen wir ja nun zur Genüge, während wir ja nun vermittels kryptischen Gefüges ein kleines Wunder erlebten. Also mit Adrian hinaus in die Welt.