Politische Spielwiesen

Integrationserziehung endet nach der Grundschule  ■ K O M M E N T A R

Die Unterschiede bleiben. Mehr als zehn Jahre Integrationserziehung haben nichts daran geändert, daß das gemeinsame Aufwachsen von behinderten und nichtbehinderten Kindern ein Experiment bleibt. Eine Spielwiese, die die Gesellschaft in ihren Grundfesten, dem Leistungsgedanken, nicht angekratzt hat.

Sechs Jahre lang wiegen sich Eltern in der Vorstellung, ihr behindertes Kind könne ganz „normal“ mit allen anderen Kindern im Kiez aufwachsen. Sechs Jahre lang wird integriert, toleriert, akzeptiert - dann ist Schluß. Mit der Begründung, behinderte Kinder könnten in den Oberstufen der Regelschule nicht adäquat gefördert werden, lehnte es die Schulverwaltung bisher konsequent ab, geistig oder lernbehinderte Kinder gemeinsam mit ihren bisherigen KlassenkameradInnen weiter die Schulbank drücken zu lassen. Inoffiziell jedoch gelten auch andere Gründe: Das Ausleseprinzip, die Aufteilung in Bildungsstufen soll nicht angetastet werden. Die behinderten Kinder fangen da an zu stören, wo es darum geht, die zukünftigen Eliten zu dressieren. Angehende Führungskräfte sollen nicht lernen, auf andere Rücksicht zu nehmen, Unterschiedlichkeiten zu tolerieren und Menschen als gleichwertig anzusehen. Das unbehinderte Leistungsprinzip wird von der Schulsenatorin politisch, und wenn nötig auch vor Gericht, geschützt.

Was die Kinder selber wollen, die behinderten und die nichtbehinderten, fragt dabei niemand. Wie sie damit fertig werden, daß ihr kleines Stück gemeinschaftlicher Utopie plötzlich der brutalen Selektion der Realität angepaßt wird, das weiß keiner. Fest steht nur, ein Modell, das der Zukunft keine Chance gibt, ist gesellschaftlich betrachtet wertlos.

Brigitte Fehrle