Integrationsschulen - Das Modell hat enge Grenzen

■ Seit zehn Jahren Modellversuche zur gemeinsamen Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder / Alle Erfahrungen sind positiv / Trotzdem gibt es Haken

Seit elf Jahren wird an Berliner Grundschulen ein Modellversuch zur Integration behinderter Kinder praktiziert. Bei Kongressen in Westdeutschland gerne gelobt, wurde der Versuch inzwischen mehrfach ausgeweitet: An fünf Grundschulen werden inzwischen behinderte und nichtbehinderte Kinder zusammen unterrichtet. Vier weitere Schulen haben vor den Sommerferien Anträge auf Genehmigung des Modellversuchs bei der Senatsschulverwaltung gestellt, die positiv vorentschieden wurden. Trotz dieser Bereitschaft legt die Senatsverwaltung den Eltern immer wieder Steine in den Weg.

An der Schöneberger Fläming-Grundschule werden schon seit elf Jahren behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam unterrichtet. Sie nimmt auch als einzige Integrationsschule geistig behinderte Kinder auf. Auch die Uckermark -Grundschule in Schöneberg praktiziert seit sechs Jahren ein Integrationsmodell. Die 20 Kinder einer Klasse werden von drei Lehrern unterrichtet.

Inzwischen gibt es in fast jedem Bezirk eine Grundschule, die Integration anbietet oder anbieten will. Die meisten übernehmen das Uckermark-Modell. Vermutlich wird die Fläming -Schule bis auf weiteres die einzige auch für geistig behinderte Kinder offene Grundschule sein. Inzwischen hat die Senatsschulverwaltung eine neue Hürde geschaffen: die „Gutachtenkinder“, das sind Kinder mit - wie es offiziell heißt - zusätzlichem „sonderpädagogischen Bedarf“, sollen in Zukunft zumindest als potentielle Sonderschüler klassifiziert werden. Damit will man verhindern, daß die Frage Gymnasium überhaupt gestellt werden kann. Vor zwei Jahren hatten die Eltern eines behinderten Mädchens gerichtlich zu erzwingen versucht, daß ihre Tochter nach der Fläming-Grundschule die Sophie-Scholl-Gesamtschule besuchen kann. An dem mongoloiden Mädchen, Jenny Lau, wurde von der Schulsenatorin ein Exempel statuiert: Schluß ist mit der Intergration bei Kindern, die andernorts Sonderschulen besuchen müßten.

Am „Sonderschulstatus“ werden die Grenzen der senatlichen Integrationsbereitschaft deutlich, meint Eugen Schwarze, Gesamtelternvertreter der Uckermark-Schule. Er nennt den Sonderschulstatus eine „Stigmatisierung“, die den „Unwillen“ der Verwaltung zur Fortsetzung der Integration auch nach der Grundschule deutlich mache. Manche Eltern würden sich, so befürchtet er, wegen dieser möglichen Klassifizierung davon abhalten lassen, ihr Kind auf eine Integrationsschule zu schicken. Hans-Jürgen Kuhn, AL-Vertreter im Schulausschuß, hofft deshalb auf eine gewisse Renitenz unter Lehrern und Rektoren an den Schulen, die neuerdings mit der Integration begonnen haben und die Sonderschulklassifizierung in den Akten vermerken müssen. Bislang seien die Gutachter-Kinder sozusagen „ganz normale Grundschüler“ gewesen. Mit der Einstufung als potentielle Sonderschüler gehe die „Sortiererei“, die mit der Integration verhindert werden sollte, doch wieder los. Für ähnlich unsinnig hält er die „Hauptschulempfehlung“, die jedes Kind vorweisen muß, das von einer Integrationsschule auf eine Oberschule wechseln will. Sinn der Integration sei es gerade, die Lernchancen verschiedener Kinder möglichst lange offen zu halten.

Was, wie die Praxis zeigt, zur Zufriedenheit von Eltern und Kindern funktioniert: Im Juni legte TU-Professor Ulf Preuss -Lausitz, der die Integrationsbemühungen der Uckermark -Schule seit Jahren untersucht, das Ergebnis einer Umfrage vom Mai dieses Jahres vor: „Außerordentlich hoch“, heißt es dort, sei die Zustimmung zur Integration, die Eltern von Kindern der ersten, dritten und fünften Klasse geäußert hatten. 94Prozent der Eltern „finden es gut, daß alle Kinder aus dem Wohngebiet gemeinsam unterrichtet werden“. Zurückzuführen sei die große Zustimmung auf die Mühe, die sich die Lehrer um behinderte wie nichtbehinderte Kinder geben: 88 Prozent der Eltern zollten den Lehrern ein großes Lob - Vergleichszahlen aus dem Bundesgebiet weisen wesentlich weniger Zustimmung auf.

Preuss-Lausitz interpretiert das positive Ergebnis als Erfolg des Konzeptes, denn „wenn behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder in der Klasse sind, werden alle Lehrer ermutigt, ihre pädagogischen Bemühungen zu intensivieren“. Den Kindern selbst scheint der gemeinsame Unterricht bestens zu bekommen: Die regelmäßig erstellten „Sozioprogramme über die Sympathien innerhalb der Klassen“ zeigten, daß es kaum Kinder gäbe, die extrem abgelehnt würden. Oft wissen die nichtbehinderten Kinder auch gar nicht, wer die beiden Gutachten-Kinder in einer Klasse sind. 90 Prozent der Eltern plädierten deshalb für eine Fortsetzung der Integration an den Oberschulen.

Die Bereitschaft der Oberschulen, Kinder von integrierenden Grundschulen zu übernehmen, ist, wie Eugen Schwarze weiß, durchaus vorhanden.

So hätte die Bröndby-Oberschule in Steglitz Interesse, die Uckermark-Kinder aus der sechsten Klasse ebenso geschlossen zu übernehmen, wie die Kinder aus der Fläming-Grundschule als Klassen auf die Sophie-Scholl-Schule wechseln. Nur brauchten die Oberschulen personelle Verstärkung - zum Nulltarif sei Integration nicht zu haben. Doch hier blockiert wieder die Schulverwaltung. Es scheint, meint Eugen Schwarze, sie „bedarf dringend des Förderunterrichts“.

Werner v. Bebber