Das Mal des Mahnens

■ Keine Frage, der Bildhauer Alfred Hrdlicka meint es gut mit uns. Aber macht eine gute Sache schon ein gutes Kunstwerk? Anmerkungen zum „Denkmal gegen Krieg und Faschismus“ am Wiener Albertinaplatz

Wolfgang Koch

Denkmalkriege haben in Österreich eine lange Tradition. Vor genau hundert Jahren etwa beriet man über die Wahl für die Inschrift des Radetzky-Denkmals. Damals ging das Gerücht um, der Direktor des Hof- und Staatsarchivs habe vorgeschlagen, den populären Vers Grillparzers an den Marschall in einem Punkt abzuändern; statt „In deinem Lager ist Österreich“ sollte es besser heißen: „In deinem Lager war Österreich.“ Angeblich wurde der Fall dem Kaiser zur Entscheidung vorgelegt, welcher die ursprüngliche Fassung zur Inschrift bestimmte.

Der Streit um Hrdlickas Denkmal gegen Krieg und Faschismus wird zum einen als Streit um den Standort, zum anderen als Streit um die Person des Künstlers geführt.

Erst zum Standort. Martin Buber schrieb einmal: „Es gehört nicht zum Wesen des Symbols, über den konkreten Jeweiligkeiten zeitlos zu schweben.“ Insofern ist der Standort nicht unklug gewählt. Am Albertinaplatz liegen Hunderte Zivilisten unter den Trümmern des Philipphofes begraben. Sie starben in Folge eines Bombardements in den letzten Kriegstagen. Dieses furchtbare Geschehen gab dem Platz sein konkret-historisches Gesicht. Es macht ihn auch ohne bedeutungsvolle Zeichen zu einem Symbol, das den Wert aus seiner Dauer bezieht, aus Vergänglichkeit, Vergeßlichkeit und angestrengter Erinnerung.

Der Ästhetiker Bazon Brock wird die Ansicht vertreten, die breite Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Geschichte des Albertinaplatzes habe die Denkmalleistung bereits vollbracht. Aber ist der von Befürwortern wie Gegnern des Hrdlicka-Projekts in den letzten Wochen und Monaten abgelagerte Gedankenschutt dazu wirklich angetan?

In der Leserbriefkampagne der 'Kronenzeitung‘ stehen phantasierte „faschistische Züge Hrdlickas“ und „linke Linke, die sich mit Brachialgewalt durchsetzen wollen“ im Mittelpunkt der Beiträge. Die kommunistische 'Volksstimme‘ wiederum äußert ihre Besorgnis über den von der VP lancierten Standort Morzinplatz so: „Nach Mitternacht werden vereinzelte Nachtschwärmer zum Platz herunterkommen, um sich auszukotzen oder zwischen den Gebüschen ihre Notdurft zu verrichten.“ Und Bazon Brock selbst im 'Club 2‘: „Am Albertinaplatz scheißen die Hunde auf die Toten, das ist Geschichte.“

Notdurft gegen Hundekot, symbolisch versteht sich. Was der öffentliche Diskurs hier zutage fördert, hat mit Vergangenheitsbewältigung rein gar nichts zu tun. Die geäußerten Befürchtungen und Nötchen sind viel eher das ängstigende Spiegelbild einer posthistorischen Gemütsverfassung.

„Die bildende Kunst hat in den westlichen Demokratien eine einzige gesellschaftsrelevante Aufgabe“, glaubt Alfred Hrdlicka: „Sie ist Demonstrationsobjekt einer nie gekannten Freiheit.“ Enttäuscht von dieser eingeschränkten Wirkungsmöglichkeit wandte er sich schon sehr früh einer älteren Auffassung zu, der Verbindung von Schönheit und Moral, dem von der Aufklärung einst emphatisch verkündeten Bildungsauftrag der Kunst.

Die Idee des öffentlichen Denkmals, wie sie im Projekt Albertinaplatz ihre Gültigkeit bewahrt hat, wurde zum ersten Mal 1771 vom Schweizer Philosophen Johann Sulzer formuliert. „Jedes Denkmal soll das Auge derer, die es sehen, auf sich ziehen, und in den Gemütern empfindungsvolle Vorstellungen von den Personen oder Sachen, zu deren Andenken es gesetzt ist, erwecken.“

Nun, welche tugendhaften Empfindungen soll das neue Denkmal rühren? Hrdlicka begann sich 1950, zur Zeit des Koreakrieges, für Politik zu interessieren. „Als der Krieg in Korea war, ist mir etwas Unheimliches aufgefallen: In diese Stadt, die als gemütlich verschrien war, dieser feinen Wiener Stadt, ist aus den Leuten, je länger der Krieg im Osten gedauert hat, alles wieder hervorgekrochen, was sie fünf Jahre lang unterdrückt haben, die ganze faschistische Ideologie der Gewaltverherrlichung.“ Indem er nun im Cityzentrum seine enthüllende Aussage macht, daß nämlich zur Geschichte der Zweiten Republik die Verdrängung der Geschichte der Ostmark gehört, hofft er, sein Mahnmal werde einst zum Born, aus dem die Kräfte des Widerstands geschöpft werden. So ungefähr hat man sich wohl vorzustellen, was der Künstler da will. Interessanter ist allerdings, wie er das will.

Was hat Hrdlicka dem Verdrängen gegenüber zu bieten? Wenig. Er vermeidet die Abstraktion und greift - in der Figur des straßenwaschenden Juden - zu jenem Bild ungebrochenen Sinn, für das nichts anderes taugt als der sterblich geborene Leib. Der erniedrigte Körper eines Juden (Bronze) ist der zentrale Part eines Ensembles, welches noch drei weitere Elemente umfaßt: zwei mächtig emporragende Säulen („Tor der Gewalt“), eine reliefartig in Marmor gehauene Figur („Orpheus betritt den Hades“) und die feierlich zum Altarsujet erhobene Unabhängigkeitserklärung vom 27.April 1945.

Wie bei jedem Denkmal schwingt hier der Wunsch mit, Geschichte zu ordnen. Aber der Skulpturenpark spricht in vielerlei Sprachen gleichzeitig: mythologisch, historisch, politisch, realistisch, fragmentarisch, polemisch. Und die szenische Darstellung am Platz hinter der Oper gerinnt dabei zu Erinnerungstheater von eher geringem Belang.

Wie eben auch bei Heldengedenkstätten steht die allwaltende Dynamik des Kriegs im Vordergrund. Die Zivilisten sind Täter und sie sind Opfer. Ursache und Wirkung bleiben merkwürdig heterogen. Das ganze Ensemble ist weder ein Dementi noch eine Apotheose, sondern bestenfalls eine Akzentverschiebung. Dabei ergibt sich eine Stillegung all dessen, was sich in gesellschaftlichen Zielen bewegt, im Paradoxalen. Der Effekt ist eine Krise im Allgemeinen: Ausgerechnet das, was helfen soll, das Vergessen zu überwinden, die gleichmäßig über Opfer und Täter ausgeschütteten Steine, werden Anlaß zur Stillegung der Erinnerung.

Dennoch ist das Denkmal gegen Krieg und Faschismus nicht unmittelbar mit gängigen Kriegsdenkmälern identisch, so verdächtig es sich auch macht. Wohl aber wird es erst durch das falsche Pathos der Heldengedenkstätten definiert. Beide, Kriegerdenkmal und Gegenkriegsdenkmal, haben den Kampfplatz gemein: den kommerziell organisierten öffentlichen Raum. Es sei daran erinnert, daß die Idee zum Projekt zu einer Polemik Hrdlickas gegen die Gestaltung der innerstädtischen Fußgängerzonen ihren Ursprung hat. Das Denkmal bezieht sich nun naiv und nostalgisch auf eine Öffentlichkeit, deren Idee erst gleichzeitig mit ihrer Zerstörung aufkam.

Der späte Triumph des Denkmalgedankens hat aber noch einen weiteren Haken. Er setzt eine einfach beschreibbare Vergangenheit voraus. Der Künstler versucht, die Gegenwart quasi anzuhalten, um ihr in dieser Lage die Geschichte wieder aufzuzwingen. Dabei erhebt sich die Frage, ob mit realistischen Darstellungsformen den Greueltaten der Nazis überhaupt entsprochen werden kann. Bazon Brock hat das verneint: „Kein noch so genialer Entwurf kann an das herankommen, worum es da geht.“

Der Künstler selbst hat sich lediglich zur Wirkung der beiden Denkmalsäulen geäußert. „Vom Ästhetischen her ist das Tor der Gewalt sicher scheußlich; es ist eine ästhetische Verletzung, um inhaltlich zu überzeugen.“

Zweifellos war die Ästhetik des Häßlichen lange Zeit nichts anderes als der erkämpfte Ort der darstellenden Tätigkeit. Heute aber - nach dem Ausverkauf der Ekeltechniken und der Häßlichkeitskulte - vollzieht sich nur mehr die illusionäre Selbstauflösung dieser Strategie. Kritik mittels bewußt gesuchter Häßlichkeit müßte heute zur Selbstkritik weiterentwickelt werden. Die Technik der karikierenden Enthüllung läuft sonst Gefahr, in einem Diskurs eingezäunt zu werden. Am Albertinaplatz wird man in Wien das erste Mal sehen, daß sie keinen Widerstand mehr repräsentiert.

Was Hrdlickas Stilistik ganz allgemein betrifft, hat der Maler Arnulf Rainer bereits vor zwei Jahren in der 'Wochenpresse‘ einige Stichworte geliefert: „Muskelmanierismus“, „Gebärdenschwulst“, „Heroismusschnulze“, „Meißelmystik“, „Kitsch“. Für Rainer war der Kollege einfach zu lange seinen Vorbildern Wortruba und Hanak, genauer: den Materialsimpeleien der Wiener Kunstakademie ausgeliefert.

Hrdlicka arbeitet gegenständlich, verschmäht das Abstrakte und hat für moderne Kunstströmungen nur Spott übrig. So kritisiert er zum Beispiel den „Avantariernachweis“, der angeblich im zeitgenössischen Kunstbetrieb zu erbringen sei. Doch in seinen politisch-aktionistischen Beiträgen, dem 4,5 Meter hohen Holzpferd für Anti-Waldheim-Kundgebungen oder einem mit Stroh und Gedärmen gefüllten Eisenbahnwaggon für die Ausstellung „Mythos Berlin“, bedient er sich durchaus installations- oder environmentartiger Mittel. Das graphische und bildhauerische Werk blieb seinem Leitmotiv verschrieben: „Wer dieses Jahrhundert verstehen will, muß sich einen Expander kaufen.“

Kann und soll man heute überhaupt noch Denkmäler für oder gegen Krieg und Frieden machen? Ossip Zadkines Mahnmal für die Toten von Rotterdam (1953) war vielleicht die letzte überzeugende Künstlertat.

Von Arnulf Rainer wird das Vietnam Memorial in Washington bewundert. Das von der damals 22jährigen Architekturstudentin Maya Lin entworfene und 1982 errichtete Monument besticht durch die Einfachheit seines Designs. Auf einem gigantischen Victory-V aus schwarzen Klagemauern stehen die Namen aller gefallenen Amerikaner verzeichnet. Thanatonische Qualität - das Denkmal steckt in der Erde und spiegelnde Oberfläche fördern nationale Auseinandersetzung, ja stellen so etwas wie ein Beteiligungsangebot an die Besucher dar. Noch früher, 1973, versuchte Ed Kienholz dem Vietnamdesaster mit den drastischen Mitteln der Popart beizukommen: 50.000 Uniformen wurden lose mit Erde gefüllt und durften so auf einem Acker vermodern.

All diese jüngeren Bemühungen kreisen um die Frage, ob ein Denkmal heute ohne die Aura des Weihevollen und der Würde zu bestehen vermag. Aber wie zum Hohn funktioniert das Denkmal als Lokus für Trauerarbeit gerade dort, wo es sich der klassischen Annahmen der Denkmaltheorie bedient, also Erinnerung durch persönliche Identifikation hergestellt wird und die Denkmalaufstellung den Charakter einer politischen Manifestation annimmt.

Gibt es heute ein Heldendenkmal, so ist es beispielsweise das Denkmal des Deserteurs. Seit 1986 steht ein solches ganz unscheinbar in einem Vorort-Bürgerhaus von Bremen. Eine lokale Ex-Reservisten-Initiative hat sich des Themas angenommen, um vom 20.Juli des einfachen Soldaten zu berichten. Gewidmet ist die Erinnerungsstätte dem „unbekannten Deserteur im Zweiten Weltkrieg“, von denen rund 16.000 ihr Leben im Kugelhagel oder unter dem Fallbeil der Nazis ließen.

Erst vor einem Jahr versuchten Jugendliche vom Kulturzentrum „Taverne Michelstetten“ im Weinviertel diese Denkmalerrichtung in unbedarfter Form nachzuahmen. Der Vertreter des örtlichen Kameradschaftsbundes, wohlanständiger Bürger und als solcher im Gemeinderat, wußte die Aufstellung freilich zu verhindern...

Wenn die Kongruenz von Denkmalkörper und -geist wirklich nur in tradierten Formen möglich ist, und das Erinnerungstheater versagt, verdient ein vergessenes, oder besser verdrängtes Wiener Denkmal neue Aufmerksamkeit: das Befreiungsdenkmal am Schwarzenbergplatz.

„Für die Wiener“, weiß Hrdlicka, „waren die Befreier von allem Anfang an nicht mehr als nützliche Idioten.“ Österreich war ein Opfer der Hitlerschen Politik; aber immer noch unangenehmer berührt die Tatsache, daß es sich nicht aus eigener Kraft befreit hat. Wien ist unter großen Opfern der sowjetischen Armee befreit worden, auch wenn VP-Mannen das ungern zur Kenntnis nehmen und Befreiung immer noch unter Anführungszeichen setzen (Bezirksjournal Innere Stadt 87/Nr.4).

Das zu Ehren der gefallenen Rotarmisten am 19.August 1945 errichtete Mahnmal - im Volksmund abschätzig „Russendenkmal“ oder „Kartoffeldenkmal“ genannt; 1962 konnte gerade noch rechtzeitig eine Bombe entdeckt und entschärft werden wurde von der sowjetischen Militäradministration errichtet. Auf einem 20 Meter hohen Sockel steht die zwölf Meter hohe Statue eines Rotgardisten mit Fahne, an den Enden einer halbkreisförmigen Balustrade befinden sich je eine Gruppe von Kämpfenden.

Wie der für zehn Jahre in Stalinplatz umbenannte Schwarzenbergplatz wird auch der Künstler Alfred Hrdlicka seit den Protesten gegen sein Rennerdenkmal (1970) von vielen mit dem wodkadampfenden Tyrannen assoziiert. Daß Hrdlicka Stalin bis heute nicht abschwören will, hat hauptsächlich biographische, oder wenn man so will: kunstgeschichtliche Gründe. Denn Hrdlicka hat sein Frühwerk im antisowjetischen Klima des Kalten Kriegs geschaffen. „Selbst so anarchistisch-titoistischen, von der offiziellen Linie der KPÖ abweichenden Aktivitäten, wie sie damals an der Akademie gepflegt wurden, war mit dem Schreckgespenst der Volksdemokratie leicht beizukommen.“ Auch wenn ihm das der Dumpfgummi der 'Kronen'-Redaktion niemals verzeihen wird, kommt Hrdlicka in diesem Punkt die grassierende Russen -Mode äußerst entgegen.

Man mag Hrdlickas sozialdemokratischen Neobarock dem sozialistischen Realismus am Schwarzenbergplatz vorziehen, bei Abwägung der Inhalte ist das Befreiungsdenkmal dem raffinierten Opfergedanken am Albertinaplatz überlegen. Wenn je ein Wiener Denkmal zur Macht des Widerstands wird, dann ist es - in all seiner Schweigsamkeit - dieses militärische Erbe. Das Ensemble am Albertinaplatz dokumentiert eher die Ratlosigkeit der achtziger Jahre denn eine aus der Vergangenheit gezogene Lehre. Es ist der Phyrrussieg des Gutgemeinten über die Wirklichkeit.

(stark gekürzt aus 'Falter‘ Nr.33/1988, Wien)