Weltbank als Umweltzerstörer

■ Staudamm-Projekte in Indien bedrohen Mensch und Natur / Großgrundbesitzer als Nutznießer / Indien auf dem Weg in die Schuldenfalle

Teil 24: Reiner Hörig

„Die meisten Bewohner des Narmada-Tals müssen im Falle ihrer Umsiedlung mit einem plötzlichen Absinken ihres Lebensstandards rechnen. Das trifft besonders auf die Stammesangehörigen zu, die eigentlichen Ureinwohner des Landes, die seit Jahrtausenden in Harmonie mit ihrer Umwelt und von den Produkten des Waldes leben. Diese Menschen umzusiedeln bedeutet, sie mit einer völlig fremden Umgebung zu konfrontieren, ihre Wirtschaftsform und auch ihr Sozialleben radikal zu verändern. Nach der Umsiedlung werden die einstigen Herren der Wälder auf unsere Hilfe und Beratung angewiesen sein, wie Fische ohne Wasser.“

Medha Patkar, leitende Mitarbeiterin der Bürgerinitiative „Narmada Darngrashta Smiti“ (Narmada Vertriebenen -Organisation) übertreibt nicht. Seit vielen Jahren rennt sie mit ihrer Gruppe gegen ein technisches Monstrum an, gegen sture Verwaltungsmenschen und skrupellose Politiker, um den von den Staudämmen bedrohten Stammesangehörigen zu ihrem Recht zu verhelfen. Mittlerweile hat sie nicht nur in Indien, sondern auch in Westeuropa und Nordamerika viele Verbündete gewonnen. Die gigantischen Staudämme an der Narmada in Zentralindien sind eines von vier Wahnsinnsprojekten, die von Umweltschützern und Menschenrechtlern als beispielhaft für die verantwortungslose Entwicklungspolitik der Weltbank an den Pranger gestellt werden. Die indischen Behörden planen, Tausende von Staudämme über die Narmada und ihre Nebenflüsse zu bauen. Das Wasser der Stauseen wird in erster Linie Großgrundbesitzern zugute kommen, die zu gewinnende Elektrizität ist für weit entfernte Industriebetriebe und Großstädte bestimmt. Auf der anderen Seite werden mehr als 1,5 Millionen Menschen zur Umsiedlung gezwungen werden. Fast eine halbe Million Hektar Wald und Ackerland werden vernichtet werden. Obendrein muß sich der indische Staat kräftig verschulden, denn die enormen Investitionskosten können in Indien selbst nicht aufgebracht werden. Bisher hat die Weltbank für die ersten beiden Großstaudämme Kredite in Höhe von 800 Millionen US-Dollars bereitgestellt.

Auf dem Weg

in die Schuldenfalle

Indien, das Land mit der zweitgrößten Bevölkerung der Erde, gilt seit langem als vertrauenswürdiger, weil solider Kreditkunde. Auf der Liste der internationalen Großschluldner nimmt Indien gegenwärtig hinter Südkorea den fünften Rang ein. Auch bei der Weltbank rangiert Indien unter den wichtigsten Kunden. Im April 1988 bestätigte die Weltbank in Washington eine Kreditzusage an Indien in Höhe von drei Milliarden US-Dollars für das laufende Haushaltsjahr 1988/89 - ein in der Nachkriegsgeschichte einmaliger Rekord. Schon warnen einige indische Wirtschaftsfachleute, das Land könne wie Mexiko und Brasilien in die Schuldenfalle abrutschen. Denn auch bei seinen Bürgern und den einheimischen Banken ist der indische Staat hochverschuldet. Nach Berechnungen des indischen Nachrichtenmagazins 'India Today‘ lastet schon heute auf dem Kopf eines jeden Staatsbürgers ein Schuldenberg von 1.500 Rupien, mehr als das durchschnittliche Arbeitseinkommen eines ganzen Jahres. Das Blatt kommentiert: „Plötzlich haben die jahrelang angehäuften Verpflichtungen das Ausmaß einer größeren Krise angenommen, die die Zukunft eines jeden indischen Bürgers überschattet. Die Party ist vorbei, nun ist die Rechnung fällig.“

Unter dem jungen Premierminister Rajiv Gandhi hat die indische Wirtschaftspolitik grundlegende Wandlungen erfahren. Während in den fünfziger und sechziger Jahren das Hauptaugenmerk auf einer eigenständigen Entwicklung von Industrie und Landwirtschaft lag, die einheimische Industrie von der Weltmarktkonkurrenz weitgehend abgeschirmt und durch strenge Lizensierung unter Kontrolle gehalten wurde, heißt das Zauberwort der achtziger Jahre „Liberalisierung“. Durch Kooperationen mit ausländischen Unternehmen will die Regierung den Import hochentwickelter Technologien fördern. Mehr Wettbewerb soll für Effizienz und Rationalisierung sorgen. Exportwirtschaftszonen bieten Steuererleichterungen und Investitionszuschüsse für ausländische Konzerne an.

Verschuldung

und Umweltzerstörung

Mit der Öffnung zum Weltmarkt stieg jedoch das indische Handelsbilanzdefizit sprunghaft an. Im Warenverkehr mit der Bundesrepublik Deutschland bespielsweise entsteht Indien ein jährlicher Verlust von zwei Milliarden DM. Insgesamt erwirtschafet Indien auf dem Weltmarkt Jahr für Jahr ein Minus von sieben Milliarden Mark. Neue Schulden sind also unausweichlich. Schon heute verschlingt der Schuldendienst 27 Prozent der mühsam erwirtschafteten Exporteinnahmen. Wirtschaftswissenschaftler halten dagegen einen Anteil von nur 20 Prozent für eben noch vertretbar. Wenn keine wesentliche Änderung der Wirtschaftslage eintritt, wird auch der hochgeachtete Großschuldner Indien bald in Zahlungsschwierigkeiten geraten.

Mit dem Zwang zu exportieren, um die wachsenden Schulden bezahlen zu können, geraten die Menschen und die natürlichen Ressourcen Indiens unter immer stärkeren Produktionsdruck. Bei einer Inflaion von mehr als 20 Prozent steigen die Verbraucherpreise schneller als Löhne und Einkommen. Erst kürzlich wurden die Rechte der Gewerkschaften eingeschränkt. Das Giftgasunglück in Bhopal hat mit erschrekkender Deutlichkeit gezeigt, wie wenig ernst man Arbeitsschutz und Sicherheit in indischen Fabriken nimmt. Die landwirtschaftliche Produktion ist nach einigen Jahren des Booms nun wieder rückläufig, weil durch künstliche Bewässerung und Düngung viele Ackerböden versalzen und unfruchtbar geworden sind. Die einstmals üppigen Wälder des Subkontinents bedecken nicht einmal mehr zehn Prozent der Landfläche, und die Nachfrage nach Industrierohstoffen und Brennholz steigt weiter. Menschengemachte Umweltkatastrophen - Dürren und Überschemmungen - kündigen sich an.

Wahnsinn mit Methode

Im März 1987 gab die Regierung Rajiv Gandhis grünes Licht für die ersten beiden Großstaudämme an der Narmada, obwohl mehrere Umweltstudien noch gar nicht abgeschlossen waren. Die beiden Projekte „Sardar Sarovar“ und „Narmada Sagar“, die das Herz des „Narmadatal-Entwicklungsprogrammes“ bilden, sollen nach heutiger Kalkulation zusammen 100 Milliarden Rupien, umgerechnet etwa 13 Milliarden DM kosten. Wahrscheinlich aber werden sich die Baukosten bis zur geplanten Fertigstellung in fünf bis sieben Jahren noch kräftig erhöhen. Doch das ist nur der Anfang des Wahnsinns. Insgesamt sind 30Großstaudämme, 135 mittlere und 3.000 kleine Stauwerke an der Narmada und ihren Nebenflüssen geplant. Die indischen Behörden hoffen, durch die Bewässerung von mehreren Millionen Hektar Ackerland und Stromgewinnung die gigantischen Investitionskosten amortisieren zu können.

Zur Zeit laufen die Bauarbeiten am Sardar Sarovar-Damm auf Hochtouren. Gleichzeitig wird der Protest der Betroffenen immer lauter. Bürgerinitiativen in den Unionsstaaten Gujarat, Madhya Pradesh und Maharashtra weisen auf die katastrophalen Folgen für die Umwelt hin - großflächige Zerstörung kostbarer Wälder, Erdbebengefahr, Anstieg von wasserbedingten Krankheiten, Versalzung und Versumpfung von bewässerten Ackerböden. Die von der Umsiedlung bedrohte Landbevölkerung, etwa die Hälfte davon sind Adivasi (Ureinwohner), kämpfen seit Jahren für eine gerechte und sinnvolle Entschädigung. Medha Patkar fordert ein Mitspracherecht für die Betroffenen: „Die Umsiedler müssen die Möglichkeit haben, die Planungsunterlagen einzusehen und sich selbst ein Bild von Kosten und Nutzen des Projektes zu machen. Die in ihrem Existenzrecht Bedrohten brauchen ein Mitspracherecht auf allen Planungsebenen, vom Dorfrat bis zur Zentralregierung. Nur so können die Umsiedler selbst eine umfassende Entschädigung für die ihnen entstehenden Verluste erreichen.“

Unter dem weltweiten Druck der Kritiker hat die Weltbank die Regierung des indischen Unionsstaates Gujarat zu weitreichenden Garantien für die Umsiedler gedrängt, und diese zum Bestandteil des Kreditvergabeübereinkommens gemacht. Nach Ansicht indischer Umweltschützer ein großer Schritt nach vorn. Skepsis sei jedoch angebracht, inwieweit die vereinbarten Entschädigungsleistungen und Wiederansiedlungshilfen auch tatsächlich in die Tat umgesetzt werden. Smitu Kothar, Mitarbeiter der Organisation LOKAYAN in Delhi, einer Initiative kritischer Wissenschaftler, urteilt: „Die Narmada-Staudämme sind ein international bekannter Fall. Andere Weltbank-Projekte in Indien haben ähnlich katastrophale Auswirkungen auf Bevölkerung und Umwelt, ohne jeoch im Licht der internationalen Kritik zu stehen. Im Unionsstaat Madhya Pradesh beispielsweise hat die Weltbank fast eine Milliarde Dollars in den Bau einer Serie von riesigen Kohlekraftwerken nahe den Kohlegruben von Singrauli investiert. Bis vor kurzem war für dieses Projekt keine Umweltstudie vorgesehen. Man hat sich mit keinem Gedanken darum gekümmert, wieviele Menschen durch den Energiekomplex von ihrem Land vertreiben werden. In den Urwäldern von Bastar, dem südlichen Zipfel desselben Unionsstaates Madhya Pradesh ist zur Zeit ein weiterer Großstaudamm im Bau. Dieser Damm namens „Bodhghat“ zerstört nicht nur einzigartige Waldbestände, sondern löscht auch die Kultur eines Ureinwohnervolkes, der Madia, aus. Noch bevor die indische Regierung die Voruntersuchungen abgeschlossen hatte, gab die Weltbank bereits eine Kreditzusage über 300 Millionen US-Dollars für Bodhghat. Insgesamt muß ich feststellen, daß die Weltbank ihrer Verantwortung für die einfachen Menschen in unserem Land nicht gerecht wird.“