Inquisition in Memmingen

■ Amtsgericht legt Frauen Fragenkatalog zu illegaler Abtreibung vor / Prozeß gegen Frauenarzt im September eröffnet / Fragenkatalog tendenziös / Anwalt des Beschuldigten nicht einverstanden

München (taz) - Das Verfahren vor dem Memminger Amtsgericht in Sachen Schwangerschaftsabbruch geht einem Höhepunkt entgegen. Nachdem seit über einem Jahr eine Prozeßlawine gegen 355 Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen ließen, läuft - 200 von ihnen wurden bisher zu hohen Geldstrafen verurteilt - wird am 8.September der Prozeß gegen den Memminger Frauenarzt Dr.Theissen eröffnet. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, illegal Schwangerschaftsabbrüche in seiner Praxis durchgeführt zu haben. 156 Frauen sollen als Zeugen in diesem Mammutprozeß, der auf 32 Tage festgelegt wurde, aussagen.

Die Frauen, denen der Arzt geholfen hat, erhielten jetzt vom Gericht einen zehnseitigen Fragebogen zugesandt. Das Gericht verlangt von ihnen, daß sie ihre Aussage zunächst schriftlich machen und setzt die Frauen mit dem Hinweis unter Druck, daß auch der Verteidiger ihres Arztes, der Münchern Anwalt Wolfgang Kreuzer, damit einverstanden sei. Davon kann jedoch keine Rede sein. Dem Verteidiger wurden die Fragebögen vom Gericht zwar zugestellt, er erklärte sich aber mit dieser Vorgehensweise des Gerichts nicht einverstanden.

Das Gericht fordert von den Frauen unter anderem Auskunft über den Namen des Hausarztes der Eltern und über den Zustand der Ehe zum Zeitpunkt der Abtreibung und heute. Auch den Namen des Arbeitgebers oder einer Person, die das Vertrauen der Zeugin besitzt, will das Gericht wissen. Der Arbeitgeber soll nämlich befragt werden, ob er der Frau bei einer möglichen Schwangerschaft gekündigt hätte. „Welcher Arbeitgeber wird das nach drei Jahren zugeben?“ kritisiert die Augsburger Anwältin Brigitte Hoerster.

Sie hat ihren Mandantinnen geraten, die Fragen nicht zu beantworten, da sie eindeutig tendenziös sind. Platz, um ihre Notlage zu begründen, wird den Frauen auf dem Bogen kaum eingeräumt. Außerdem vermutet die Anwältin, daß der Fragenkatalog nach einem Urteil des Bayerischen Obersten Landgericht ausgearbeitet wurde. In diesem Urteil von 1978 wurden Vorraussetzungen festgelegt, die für die Erteilung einer Notlagenindikation erfüllt sein müssen.

lui