Video-Gemälde in Schräglage

■ Blue-Box, „das erste forum für video-kunst“ präsentierte im Cafe Grün Brian Eno: „Thursday Afternoon“: Wer zu spät kam, guckte statt auf den Bildschirm in die Röhre

Alle, die in gewohnter Abgeklärtheit erst zwei Minuten vor Beginn des Video-Spektakels im Cafe Grün erschienen waren, schauten anstatt auf einen Bildschirm in die Röhre. Ein über den Treppenaufgang gespanntes Antennenkabel versperrte unübersehbar den Spätgekommenen den Zutritt zum abgedunkelten Ort des Geschehens. Um Gedränge zu vermeiden und die gesamte Atmosphäre nicht unnötig zu belasten, entschlossen sich die Veranstalterinnen des Videokunst -Forums Blue Box, alle weiteren Interessenten auf den nächsten Abend zu vertrösten. Eine gespannte Aufmerksamkeit beherrschte dann auch die Stimmung im Raum. Genaueres über das Medienereignis wußte aber kaum jemand, der Name Brian Eno versprach allein ein zumindest ungewöhnliches Erlebnis. Eno hatte sich zunächst als Musiker von Roxy Music einen Ruf erworben und versorgte dann mit Solo -Projekten und Zusammenarbeiten mit John Hassell oder David Byrne seine ständig wachsende Fangemeinde mit bemerkenswerten Sound-Arbeiten aus dem Avantgarde-Bereich. 1979 begann er mit ersten Video-Produktionen, die er musikalisch unterlegte.

Seine Hochformat-Arbeit Thursday Afternoon ist 1987 entstanden und, wie es sich für einen polyglotten Künstler der Postmoderne gehört, in San Francisco

gefilmt, in Tokyo geschnitten und in London vertont worden.

Diese Information klang sehr eindrucksvoll, jedenfalls weit attraktiver, als wenn die drei Orte Ludwigsburg, Pirmasens und Nordenham gewesen wären.

Bevor es dann wirklich losging, erhielt das Publikum die Weisung, bloß nicht auf dem erwählten Sitz festzukleben, sondern aktiv die Videoarbeit zu begleiten, was immer das auch heißen mochte.

Video-wallpapers - Tapetenvideos - nennt Brian Eno seine Bildschirmproduktionen. Diese Beschreibung kommt dem Eindruck dieser Kunstform schon sehr nahe. Zu quellender und pulsierender Minimalmusik eines Synthesizers zeigte das erste Bild einen dunkelblauen Hintergrund, vor dem eine halbbekleidete Frau mit angewinkelten Beinen extrem verlangsamte Bewegungen mit Armen und Oberkörper ausführte. Auf weiteren sechs Bildern dieselbe Frau (Christine Alicino): mal schemenhaft verzerrt, mal in Nahaufnahme von der Kamera abgetastet. Unter einer sich zuweilen leicht kräuselnden Wasseroberfläche lag sie minutenlang da wie ein Goldfisch, ihren entblößten Oberkörper präsentierte sie wohlausgeleuchtet. Die meisten BesucherInnen gewannen offensichtlich schnell den Durchblick, wie sie mit den statischen Bildarrangements umzugehen

hatten. Schon nach kurzer Zeit füllten Gespräche den Raum, ein emsiges Auf und Ab zur Theke signalisierte Bereitschaft, Enos Wunsch nach Aktion unter den Konsumenten in die Tat umzusetzen. Als Versehen und nicht als eine Art Überreaktion einer BesucherIn ist hoffentlich der Tritt gegen eine Bierflasche auf der Empore zu verstehen. Der grüne Glasbehälter landete nämlich zwei Meter tiefer auf dem Kopf eines Mannes, glücklicherweise, ohne Schaden anzurichten.

In der Folgezeit verschaffte ein Blick in Richtung Monitor Gewißheit: Aha, alles noch wie eben oder zumindest so ähnlich. Schön, wo waren wir stehengeblieben? Es kann nur gemutmaßt werden, ob damit Enos Intentionen angemessen erfaßt wurden, doch ein so entspannter Umgang mit zeitgenössischen Kunstformen vermindert ohne Frage Schwellenprobleme.

Es ist durchaus vorstellbar, anstatt eines Miro oder Lichtenstein einen Brian Eno an der Wand zu haben, die Endlosmusik als Klangteppich in einem Ohr, die charmanten Flüstereien der Gesprächspartnerin im anderen, dazu ein teures Getränk in der Hand. Etwas anachronistisch mutet im Zusammenhang mit neuer Kultur der Inhalt der Videos an. Die weibliche Brust als Objekt der künstlerischen Begierde, das kennen wir doch von jedem Kiosk. Wenn schon ganze Monitore umgelegt, Farbzusammenstellungen komponiert werden und Bildformate nochmal auf die Seite kippen, dann sollte auch der Bildinhalt gängige Rollenklischees vermeiden.

Jürgen Francke