Fast food für den guten Geschmack

■ Das Buch zur Radio-Bremen-Sendung: „Die Galerie der kleinen Dinge - Kleines Kulturgeschichtliches ABC alltäglicher Gegenstände“. Hrsg: Heiner Boehncke/Klaus Bergmann. Haffmans-Verlag. Preis: 20 Mark

Schön gebunden, handschmeich lerisch, gut zum Verschenken geeignet: Wie fast alle Bücher aus dem Schweizer Haffmans Verlag, ist auch „Die Galerie der kleinen Dinge - Kleines Kulturgeschichtliches ABC alltäglicher Gegenstände“ ein schnuckliges kleines Ding für Bibliophile, die der knetbaren Taschenbücher überdrüssig sind. Und auch als Schmutzfink kann man an diesem Buch seine Freude haben: Der Einband ist abwaschbar, glatt, resistent gegen Fett- und Tintenfinger - als sollten keine Spuren daran haften bleiben. Damit man das Buch, wenn man es durchgelesen hat, wie neu weiterverschenken kann.

„Die Galerie der kleinen Dinge“ gehört der Gattung der Mehrfachverwurst-Produkte an: Die Redaktion des „Journal am Morgen“ samt freien Mitarbeitern und befreundeten Studiogästen - wie Dieter Richter - ist vertreten mit ihren literarischen Miniaturen über Alltagsgegenstände, die man auch schon als Rubrik des „Journal am Morgen“ im Radio hören konnte. Die schönen Illustrationen von F.W. Bernstein natürlich nicht. Die wurden tatsächlich eigens fürs Buch gemacht.

Herausgeber Heiner Boehncke und Klaus Bergmann stellen „Die Galerie der kleinen Dinge“ in ihrem Vorwort in eine kulturgeschichtliche Tradition: Polykrates, Horaz, Erasmus von Rotterdam, Ulrich von Hutten, die zu ihrer Zeit schon die Maus, die Nuß, die Zecke oder den Nachttopf bedichtet haben, werden zu Vorläufern dieses Haffmans-Büchleins hingebogen. Besser gesagt: Das Büchlein wird aufgewertet, indem man es in einen halb ehrfurchtgebietenden, halb neckisch die Ehrfurcht relativierenden Rahmen stellt. Und so vorbereitet, schlägt man es auf, blättert es durch, sucht im Inhaltsverzeichnis und stellt fest: Von A-Z, von Aschenbecher bis

Zündholz geht die Ordnung.

Naja, eine Ordnung muß wohl sein, nun ist es halt die lexikalische geworden. Auch recht. Aber warum welche Gegenstände beschrieben worden sind, ist schon weniger übersichtlich. Der Buchstabe „S“ zum Beispiel scheint alltagsgegenständlich besonders ergiebig: Zehn Dinge sind hier aufgeführt, unter anderem „Der Schnuller“ von Heiner Boehncke - eine der witzigsten, absurdesten Miniaturen übrigens, die mit blühender Phantasie erstunken und erlogen ist. Unter „A“ dagegen findet man stiefmütterlicherweise nur den Aschenbecher; unter „K“ wird der „Kreuzbube“ als höchste Trumpfkarte im Skat gewürdigt - dagegen fehlt unter „P“ die „Pik Sieben“, und so erfährt man nicht, woher die Redens art „Er steht da wie Pik Sieben“ ihren Sinn bezieht. Unter „B“ stellt Walter Weber schnarchlangweilig den „Bierdeckel“ vor - als Werbeträger und Sammel objekt. Aber kein Wort darüber,

ob die Kneipen-Redensart „einen Deckel machen“ für Anschreibenlassen nicht auch vom Bierdeckel abstammt.

Weiterhin werden in der „Galerie“ - unter anderem Büroklammer, Schneekugel, Fahrkarte, Brille, Fahrradklingel, Eieruhr, Büstenhalter, Toilettenpapier, Zündhölzer, Zahnbürste, Kreisel, Gabel, Feuerzeug und so weiter vorgestellt. Manches ist amüsant zu lesen, manches will mit dem Brecheisen amüsant sein wie Hanno Reuthers „Hosenträger“ oder Marina Dietz‘ „Meinungsknopf“. Bei manchen Autoren schwitzt das kulturkritische Sendungsbewußtsein durch die Zeilen, wie bei der „Gabel“ von Helmut Fritz: Großväterlich mokiert er sich über Mac Donalds und den Rückfall auf eine gabellose, frühe Stufe der Eßkultur. Mir ist dieses Essen auch zuwider, aber die Jugendlichen, die zu Mac Donalds strömen, als Kulturmenschen mit impliziten Anführungszeichen zu ironisieren,

zeigt eine mumienhafte Arroganz desjenigen, dem Jugendkultur nur als Defizit gegenüber der „wahren“ Kultur der Alten erscheint. Und hat nicht schließlich das Büchlein selbst etwas von fast food fürs Gehirn an sich? Man liest's und schon ist es verdaut.

Ich habe die „Galerie“ in den Ferien gelesen, mal weggelegt, dann wieder durchgeblättert - und mich im großen Ganzen sehr gelangweilt. Vier Kleinode hab ich gefunden allesamt von Burkhard Straßmann: „Der Bleistift“, „Der Handschuh“, „Der Kompaß“, „Das Ventil“. Er hat einen federleichten Ton gefunden, der zwischen philosophischer Betrachtung, Information und Komik in der Schwebe bleibt. „Der Bleistift“: “...Ein Paradoxon mit philosophischem Reiz bildet der radiergummibestückte Bleistift. Durch einfache 180-Grad-Wendung stellt er sich und seinen Sinn in Frage, indem er die Produktion seines einen Endes mit dem anderen Ende ver

nichtet.“

Solcher Sinn fürs Absurde, der die trocken -funktionstüchtige Selbstverständlichkeit eines alltäglichen Gegenstands durcheinanderbringt, fehlt bei den anderen Autoren; mit Ausnahme der einen oder anderen Miniatur von Heiner Boehncke - der allerdings mit sechzehn Gegenständen seine 24 Mit-Autoren geradezu erschlägt. Ihm, dem gewieften Allesverwerter, ist wahrscheinlich die Galerie in Buchform zu verdanken, nachdem sie uns auch schon in der „Frankfurter Rundschau“ begegnet ist. Aber was sich im Radio längst versendet hat und als Hörfunk-Rubrik auch unterhaltsam war, erweist sich in gedruckter Form als reichlich dünn: Einmal gelesen - weggelegt und nie wieder vorgeholt.

Die „Galerie“ gibt sich in ihrer ganzen Aufmachung samt Vorwort mit eitlem Understatement als ein Brevier des Esprits, in dem kleine Gegenstände durch Literaten-oder Journalisten-Hirntätigkeit geadelt werden. Aber kaum ein Autor - und das merkt man eben beim Lesen besonders deutlich - konnte der Kleinheit seines Gegenstands den Charme und Geist entlocken, der in Burkhard Straßmanns Miniaturen sitzt. Er denkt sich in den Gegenstand hinein, spielt mit ihm, spielt mit der Sprache, während die anderen Autoren oft gönnerhafte und darum mißlungene Ironie über die Alltagsgegenstände legen. Und so kann man dieses Buch eigentlich nur für einen Zweck empfehlen: Als passendes Geschenk für Leute, deren Vorlieben man nicht zu kennen braucht. Hinz und Kunz werden sich freuen über ein schön aufgemachtes Buch, werden es durchblättern, zur Seite legen und sich bei der nächsten Geschenk-Verlegenheit daran erinnern, daß sie noch irgendwo etwas Unzerlesenes und Abwaschbares herumliegen haben, was man verschenken kann.

Sybille Simon-Zülch