Ein schmerzhafter Lernprozeß

Gespräch mit Heidemarie Wiecorek-Zeul (SPD), Bundestagsabgeordnete und Mitglied im SPD-Präsidium zur Quotierung  ■ I N T E R V I E W

taz: Sie waren früher gegen die Quotierung, und sind jetzt dafür. Woher dieser Sinneswandel?

Wiecorek-Zeul: Ich habe in meiner eigenen politischen Praxis, insbesondere als stellvertretende Bezirksvorsitzende in Südhessen, erfahren, daß die Partei zwar auf ihren Parteitagen Selbstverpflichtungen und Frauenförderpläne beschließt. Aber solange es keine zwingende satzungsrechtliche Regelung gibt, sind solche Bekenntnisse schnell vergessen, und alle anderen Prinzipien setzen sich durch, nur nicht das der Gleichstellung von Frauen. Nach diesem schmerzhaften, innerparteilichen Lernprozeß bin ich zu einer überzeugten Anhängerin der Quotierung geworden.

Warum haben sich die SPD-Frauen nur für eine 40-Prozent -Quote und nicht gleich für die Hälfte aller Mandate und Ämter stark gemacht? Warum so bescheiden?

Wir haben uns an den norwegischen SozialdemokratInnen orientiert: Wenn die 40-Prozent-Quote einmal umgesetzt ist, stellt sich die zahlenmäßige Gleichstellung ganz schnell von selbst ein. Das ist unsere Einschätzung. In einer Partei wie der SPD kann Quotierung ohnehin nur schrittweise durchgesetzt werden.

Welche Hoffnungen und politischen Perspektiven verbinden Sie mit der Quote?

Die Quote gewährleistet einfach demokratische Repräsentanz. Aus der alten Männertante SPD kann nur so eine Partei werden, die auch Frauen gleichberechtigt repräsentiert. Darüber hinaus denke ich, daß daraus ein Schub entsteht für mehr Initiativen in der Abrüstung, für eine engagiertere Friedenspolitik und für einen größeren Druck in der Frage des Ausstiegs aus der Atomenergie. In allen Politikbereichen ist ja neues Denken notwendig. Die Quote ist ein Schritt zur Modernisierung der Partei.

Wieso sollten mehr Frauen die Abrüstungspolitik in der SPD radikaler machen?

Historisch und auch in der jüngeren SPD-Geschichte haben sich in diesen Fragen die Frauen besonders engagiert.

Nun gibt es ja die Erfahrungen der Grünen. Die Frauen, die dort für die Quote gekämpft, waren später enttäuscht, weil sich die Frauen zum Beispiel nicht automatisch für Frauenpolitik interessieren.

Meine Erfahrung in der Bundestagsfraktion und auch im Europaparlament war: Mehr Frauen haben auch ein stärkeres Engagement für eine bessere Gesetzgebung zugunsten von Frauen bedeutet. Vielleicht verändert sich das Interesse, wenn Frauen nicht mehr in der Minderheit sind. Dann ist das auch ein Stück Normalität.

Sie halten also Frauen für das kritischere Potential der Gesellschaft?

Nicht generell und auf immer. Frauen haben aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen mit Benachteiligung und Unterdrückung ein stärkeres Gespür und stärkere Sensibilität.

Interview: Ursel Sieber