Allianz als Ausdruck der Reife

■ FMLN-Kommandantin Nidia Diaz über die Präsidentschaftswahlen im März '89 in El Salvador

taz: Vor wenigen Tagen hat die Demokratische Konvergenz (CD) ihre Beteiligung an den nächsten Präsidentschaftswahlen vom März 1989 offiziell bekannt gegeben. An der CD sind zwei Parteien beteiligt, die der Demokratisch Revolutionären Front (FDR) angehören. Was bedeutet dieser Schritt für die „Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN), die ja in einer strategischen Allianz mit der FDR verbunden ist?

Nidia Diaz: Wir glauben genauso wie die Companeros der Convergencia Democratica, daß die Wahlen weder den Konflikt noch die politisch-ökonomische Krise lösen werden. Die Wahlen mitten im Krieg sind Teil eines Counterinsurgency -Projekts. Dennoch ist die Entscheidung der Parteien, die an der CD teilnehmen, legitim. Es sind schließlich politische Parteien, für die es einen legalen Spielraum gibt. Die Wahlen selbst sind nicht das Zentrum der politischen Aktivitäten. Wir sehen die Teilnahme der Companeros als eine der Formen des legalen politischen Kampfes.

In der Vergangenheit hat die FMLN entweder landesweit, zumindest aber in ihren Einflußzonen die Wahlen zu verhindern versucht. Wird sich an dieser Politik etwas ändern, wenn die Verbündeten sich zur Wahl stellen?

Wir haben politisch-militärische Pläne für die ganze nächste Zeit. Wir sind entschlossen, die Situation in El Salvador so bald wie möglich zu entscheiden. Wir wollen weitere soziale Kosten vermeiden. Je länger der Krieg dauert, desto mehr geht die nationale Souveränität verloren, desto mehr Tod und Zerstörung wird es geben. Auch eine Direktintervention der USA darf man nicht ausschließen. Die politischen und militärischen Bedingungen sprechen für uns, so daß wir Qualitätssprünge machen können. Wir haben die historische Verantwortung, uns an die Spitze einer möglichen sozialen Eruption zu stellen und sie zu leiten. In diese Periode, in der sich unser Sieg definiert, fällt der nächste Wahlprozeß. Im März wird gewählt, und im Juni tritt der neue Präsident sein Amt an. Die Dynamik des Krieges wird dadurch nicht unterbrochen werden. Die Destabilisierung der Kriegswirtschaft und der lokalen Verwaltung des Regimes wird während des Wahlprozesses präsent sein.

Auch am Wahltag?

Auch am Wahltag. Es geht ja nur darum, wer das Counterinsurgency-Projekt weiterführt: ARENA oder Christdemokraten. In unseren Einflußzonen wird es keine Wahlen geben oder nur in den Departementshauptstädten, wie zuletzt im März.

Das heißt, daß die FMLN ihren Anhängern keine Wahlempfehlung für die CD geben wird.

Es gibt Teile der Bevölkerung, die in den Wahlen noch immer eine Möglichkeit sehen, ihre Unzufriedenheit mit dem Regime auszudrücken. Für diese Leute kann die CD eine Rolle spielen. In den Konfliktzonen ist der Bewußtseinsgrad der Bevölkerung wesentlich höher. Sie glauben nicht, daß sie durch die Wahlen etwas verändern können, und sind in der einen oder anderen Form am Kampf beteiligt. Als FMLN glauben wir nicht, daß die Wahlen etwas lösen können, solange Krieg und Diktatur herrschen.

Kann man die Wahlbeteiligung der CD als Beginn eines „dritten Weges“ sehen?

Es gibt nur zwei Projekte: das Counterinsurgency-Projekt und das Projekt des Volkes. Schau dir die Plattform der CD an - erstens Rettung der nationalen Souveränität, zweitens Notwendigkeit einer politischen Verhandlungslösung, drittens Schaffung der Bedingungen für eine wirkliche Demokratie. Alle suchen in der einen oder anderen Form die politische Lösung. Die weitgehende Übereinstimmung all dieser Kräfte wird es uns erlauben, einen Qualitätssprung zu machen.

Die FDR-Führer sagen, ihre Wahlbeteiligung bedeutet nicht, daß sie ihre strategische Allianz mit der FMLN aufkündigen wollen. Gibt es einen Punkt, an dem die FMLN ihrerseits die Allianz brechen würde?

Diese strategische Allianz ist schon acht Jahre alt und ein Ausdruck der Reife und des Pluralismus. Ohne selbst am bewaffneten Kampf beteiligt zu sein, unterstützen die Companeros der FDR unseren bewaffneten Kampf. Was zählt ist nicht die Kampfform, sondern das gemeinsame Projekt. Wenn es in El Salvador wirkliche Demokratie, Souveränität usw. gäbe, wäre die Basis dieser Allianz vielleicht verschwunden.

Nehmen wir an, der Krieg dauert noch drei weitere Jahre und die CD beteiligt sich an den Parlamentswahlen und gewinnt eine Anzahl von Sitzen. Ist es vorstellbar, daß die Parteien der FDR in der Nationalversammlung sitzen, während die FMLN in den Bergen kämpft?

Bis jetzt haben wir so etwas noch nicht überlegt. Wir gehen davon aus, daß sich die Dinge bis 1991 qualitativ verändern.

Also der Volksaufstand, von dem soviel gesprochen wird?

Die Krise geht so tief, daß sie nur mit der Situation von 1932 verglichen werden kann, die zum großen Bauernaufstand geführt hat. Der gegenwärtge Organisationsgrad des Volkes ist etwas nie Dagewesenes. Es gibt Kampfformen mit Gewaltanwendung. Das Volk bereitet sich auf den Kampf vor und auf den Widerstand gegen die Repression. Ein Beweis war der Begräbniszug für Rigoberto Orellana, den ermordeten Führer der Bewegung „Brot, Land, Arbeit, Freiheit“. Daher wird viel über einen Aufstand spekuliert, manche sprechen sogar vom Dezemberaufstand. Ich glaube aber, man kann noch kein Datum nennen. Früher hat uns das Volk für unsere Aktionen applaudiert, jetzt beteiligt es sich selbst am Kampf für seine Interressen und weiß, daß es dabei nicht allein ist.

Das Gespräch führte Ralf Leonhard