piwik no script img

Die doppeldeutige Politik des jordanischen Königs

Was bedeutet König Husseins Beschluß über „Demontage der administrativen und rechtlichen Bindeglieder“ zwischen Jordanien und der Westbank? Fraglos hat die Intifada die Kraft der palästinensischen Befreiungsbewegung bewiesen, und die Ablehnung aller „jordanischen Optionen“, die in langjährigen Geheimverhandlungen des Königs mit den Behörden Israels konzipiert worden waren, durch die Palästinenser deutlich gemacht.

Gleichzeitig wird die Intifada und ihre politischen Auswirkungen vom jordanischen König als potentielle Bedrohung begriffen. Andererseits glaubt rund eine Hälfte der israelischen jüdischen Bevölkerung, daß eine massenhafte Abschiebung von Palästinensern nach Jordanien eine „Lösung der demographischen Frage“ und des „palästinensischen Problems“ sein könnte. Dagegen wollte sich Hussein auch formell schärfer abgrenzen. Schließlich hatte Husseins dramatischer Schritt auch die Absicht, die PLO zu „stellen“ und sie zu veranlassen, in der Praxis zu zeigen, ob sie tatsächlich Alleinvertreterin der Palästinenser und fähig ist, eine politische Initiative zu entwickeln, die Amerika so wie Israel an den Verhandlungstisch bringt. Husseins Bemühungen, den Friedensprozeß unter Beteiligung von Jordanien und der PLO im Rahmen einer internationalen Konferenz in die Wege zu leiten, war durch Israels Regierungsveto gescheitert.

Es wäre allerdings ein Irrtum, in Husseins Rückzieher eine definitive Absage an Ostjerusalem und das übrige Westufer zu sehen. Seinen Rechtsanspruch auf die Gebiete kann der König wohl kaum mehr geltend machen, aber eine Vielzahl wirtschaftlicher, finanzieller und administrativer Bande bleiben auch weiter bestehen. Dabei spielen die religiösen Institutionen und islamischen Wakf-Behörden jetzt eine größere Rolle und können einen Teil der Funktionen übernehmen, die bisher jordanische Beamte in der Westbank erfüllten.

Kurzfristig stellen Husseins Maßnahmen eine wohl beabsichtigte Herausforderung an alle Beteiligten dar: die PLO muß zeigen, wie sie mit der neuen Lage fertig wird und in die Bresche springt, die Jordanien hinterläßt. Das ist aber genau das, was Israel zu vermeiden sucht. Es ist, als ob König Hussein sagt: Mal sehen, wie die PLO da mit Israel kollidiert und wie sie unter solchen Umständen unter Beweis stellt, einzige Vertreterin der Palästinenser zu sein, die auch halten kann, was er verspricht und anstrebt: einen selbständigen Staat.

Hussein hat sich bei den Palästinensern der besetzten Gebiete kaum beliebter gemacht. Seine Schritte bedeuten für sie eine große Verunsicherung und eine Komplikation des alltäglichen Lebens durch zusätzliche Schikanen. Israel verschärft die Lage noch durch z.B. drastische Einschränkung der Geldsummen, die Palästinenser mitbringen dürfen, oder durch Schließung aller noch bestehenden öffentlichen Gewerkschafts-, Wohlfahrts- und Selbsthilfeorganisationen. Wie vorauszusehen war, hat Israel mit einer Intensivierung aller Unterdrückungsmaßnahmen reagiert, um zu demonstrieren, daß Israel die Lage beherrscht und keineswegs beabsichtigt, den Palästinensern zu gestatten, die Grundlagen für einen eigenen Selbstverwaltungsapparat mit alternativen Selbsthilfeinstitutionen aufzubauen. Deshalb kommt es jetzt zu den neuen Massenverhaftungen und Deportationswellen, die vornehmlich eine pragmatische Schicht politischer Aktivisten betrifft, die eine Zwei-Staatenlösung anstreben.

Eine Herausforderung waren Husseins Maßnahmen auch Israel gegenüber, weil damit vor den Wahlen in Israel einige wichtige Illusionen aus dem Weg geräumt werden: Erstens kann Amman nicht mehr als Adresse für eine Lösung der Palästina -Frage gelten. Das ist ein Schlag gegen das Grundkonzept aller größeren Parteien in Israel, zieht jedoch vor allem der Arbeiterpartei den Teppich unter den Füßen weg. Der Traum von einer „jordanischen Option“ ist verschwunden, auch wenn die Führer hier behaupten: das ist alles nur vorübergehend und die israelisch/jordanischen Teilungs-, oder Konföderationspläne können wiederbelebt werden.

Zweitens hat die Hussein-Initiative deutlich gemacht, daß sich Jordanien gegen jene Rechtskreise in Israel zur Wehr setzt, die Transjordanien in den „Palästinenserstaat“ verwandeln wollen, was in der Praxis bedeutet, daß alles Land westlich des Jordanflusses von Israel annektiert werden kann.

Die meistvertretene Ansicht unter Palästinensern am Westufer ist, daß ein verärgerter König Hussein den Amerikanern und Israelis das palästinensische Problem vor die Füße geworfen hat, weil der Shultz-Plan und die Bedingungen der israelischen Regierung den Monarchen zwingen, politischen Selbstmord zu begehen. Gleichzeitig übt Hussein jedoch Druck auf seinen Hauptrivalen: die PLO aus. Hussein weiß genau, daß Israel die PLO an der Übernahme der Verwaltung hindern wird.

Schließlich - so meint Hussein - werden ihn die Palästinenser in den besetzten Gebieten noch kniefällig bitten müssen, wieder seine schützende Hand über Westufer und Gaza zu halten. Ein solches Comeback des Monarchen wäre natürlich mit einer entscheidenden Niederlage der PLO verbunden.

Dieses Szenario, so die Palästinenser am Westufer, ist illusorisch. So schlecht es den Palästinensern gehen mag sie werden den König nie wieder zurückbitten und sehen das Abkoppeln der Westbank von Jordanien als einen neuen Erfolg der Intifada und als Antrieb zu einer politischen Initiative der PLO, die zu einer Zwei-Staaten-Lösung führen soll. Die Palästinenser fordern gleichzeitig, daß Amman seinen Verpflichtungen ihnen gegenüber genauso nachkommt wie jeder andere arabische Staat, auch wenn diese Hilfen erfahrungsgemäß sehr zu wünschen übrig lassen.

Zwischen der Linken und dem „Mainstream“ der Palästinenser mit bürgerlich-liberalen Vorstellungen läuft eine Auseinandersetzung über Charakter und Aufgaben einer palästinensischen Exilregierung. Der Mainstream wünscht sich ein Kabinett mit konkreten Ressorts in den besetzten Gebieten. Der Linken ist das politische Programm und die internationale Anerkennung der Palästinenser wichtiger.

Amos Wollin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen