Robbentod-Ursache vorerst geheim

■ Niederländische Wissenschaftler schließen Virusinfektion als Auslöser aus / Gerangel um Veröffentlichung der „wahren“ Ursache des Massensterbens / 'Nature‘ verbietet Veröffentlichung der Ergebnisse

Berlin(taz/dpa) - Die monatelangen Diskussionen über die Ursache des Robbensterbens in der Nordsee werden möglicherweise in dieser Woche beendet. Der Virologe Anton Osterhaus vom niederländischen Nationalinstitut für öffentliche Gesundheit und Umweltschutz ist überzeugt, bei der Suche nach der Todesursache den „Durchbruch“ geschafft zu haben. Um die Veröffentlichung seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse hat sich unterdessen ein makabres Gerangel entwickelt. Osterhaus verkaufte seine Ergebnisse exklusiv an die renommierte britische Wissenschaftszeitschrift 'Nature‘, die eine Publikation vor Donnerstag dieser Woche - an diesem Tag erscheint die nächste Ausgabe des Blattes - untersagt hat.

Die niederländische Regierung ließ am Freitag lediglich mitteilen, daß die bisher von zahlreichen Wissenschaftlern angenommene Virusinfektion als Ursache für das Massensterben ausscheide. Weder Herpes- noch die sogenannten Picorna-Viren seien verantwortlich, sagte eine Sprecherin des niederländischen Gesundheitsministeriums. Der Tod der Robben werde „definitiv von einem einzelnen Faktor“ ausgelöst. Andere Einflüsse könnten zwar ebenfalls eine Rolle spielen; der nun gefundene „Faktor“ habe jedoch das Faß zum Überlaufen gebracht. Er sei in „allen toten Seehunden“ nachweisbar. Der Ermittlung der wahren Todesursache der Robben seien monatelange Forschungsarbeiten des Nationalinstituts und der Seehundklinik im nordholländischen Pieterburen vorangegangen. Ergänzend teilte das Ministerium mit, man habe noch kein Mittel gegen das Seehundsterben gefunden. Die Ergebnisse beträfen lediglich die Ursache und den Verlauf der Krankheit. Damit wollten die holländischen Behörden offenbar jeglicher Kritik an der Geheimniskrämerei um die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse den Wind aus den Segeln nehmen.

Bundesdeutsche Forscher haben die unvollständigen Nachrichten aus dem Nachbarland offenbar noch nicht überzeugt. „Mit skeptischer Erwartung“ reagierte die Biologin Bettina Reineking vom Internationalen Wattenmeer -Sekretariat auf die Erfolgsmeldungen. Deutsche und Dänen gehen bislang davon aus, daß geballter Umweltstreß die Abwehrkräfte der Meeressäuger gegen Lungenentzündung, Virenbefall, Belastung mit Schwermetallen wie Blei und Cadmium sowie chlorierten Kohlenwasserstoffen wie PCB schwächt. Gerade die Blei- und PCB-Werte verdoppelten sich in zehn Jahren.

Vor neun Jahren in den USA begonnene Forschungen konnten bisher ebenfalls nicht die Gründe für das Massensterben erhellen. 1979/80 starben bei Cape Cod nahe Boston rund 400 Seehunde ebenfalls an akuter Lungenentzündung und einem Influenza-Virus. Auch hier gab es vorher eine starke Algenblüte. Ferner wurden in den Tieren Mycoplasmen gefunden, das sind kleinste Krankheitserregertypen wie Bakterien. Sie wurden auch im Wattenmeer entdeckt, ohne daß dieses Problem bisher bewertet werden kann.

Ebenfalls an der US-Ostküste südlich von New York trieben von Juni bis November vorigen Jahres fast 400 Große Tümmler an, die ähnliche Krankheitsbilder wie die Seehunde zeigten. Einige Tiere hatten erhöhte Dosen an Umweltgiften, andere jedoch nicht.

Dem amerikanischen Befund zufolge starben die Tümmler letztlich an der Bakterieninfektion.

Ohne direkt auf die neuen holländischen Ergebnisse Bezug zu nehmen, erklärte ein Sprecher der Tierärztlichen Hochschule Hannover am Sonntag, die Seuche werde vermutlich von einer Infektionskrankheit mit bakterienähnlichen Mikroorganismen ausgelöst. Diese seien in den weißen Blutkörperchen toter Robben nachgewiesen worden und „nicht den Viren zuzuordnen“. Außerdem habe man weitere Krankheitserreger und Parasiten in den Kadavern gefunden. Die Bedeutung der Mikroorganismen für die Krankheit werde derzeit untersucht.

Unterdessen geht das Seehundsterben im Wattenmeer weiter. Der Robbenbestand nähert sich bedrohlich der 20-Prozent -Grenze, unterhalb derer sich die Seehund-Population nach Auffassung der Meeresforscher gar nicht oder nur schwer wieder erholen kann. Insgesamt verendeten bisher 4.600 der etwa 8.600 Seehunde im Wattenmeer. Im Bereich von Skagerrak und Kattegat gingen über 6.000 Tiere zugrunde. Zunehmend wurden in den letzten Tagen auch an der britischen Küste tote Seehunde angeschwemmt.

gero