Der nicht ganz reine Wahnsinn

■ Seit Donnerstag läuft im UT der neue Polanski: „Frantic“ ist ein souverän gemachter 80er Jahre Thriller mit arabischen Terroristen, Atombomben, Koks und Klischees

Ein Blick ins Wörterbuch verschafft vorläufige Klarheit: frantic ist ein Adjektiv und bedeutet wahnsinnig, rasend. Und siehe da, schon eine Seite weiter findet sich auch die substantivische Form: Frenzy. So ein Zufall.

Doch Vorsicht ist geboten. Roman Polanskis neuen Film mit dem Großmeister Alfred Hitchcock zu vergleichen, entbehrt so ungefähr allen Grundlagen. Wir wollen doch dem altehrwürdigen Engländer nicht posthum wehtun.

So ein Polanski ist nun einmal nur mit sich selbst zu vergleichen - manchmal jedenfalls. Doch seit dem Piratenepos des Exil-Polen und Beinah-Exil-Amerikaners (in den USA droht Polanski die Einbuchtung wegen unerlaubter sexueller Beziehungen zu Minderjährigen) sind auch die Querverweise zum eigenen Oeuvre schwierig geworden. Für Kinofreunde ist der Name des nunmehr in Frankreich arbeitenden Regisseurs untrennbar mit Filmen wie Ekel, Der Mieter, Rosemaries Baby oder auch Chinatown verbunden. Das waren Filme mit Tiefgang, und, ob legitim oder nicht, dieser Bonus wird Polanski ständig auf die schmalen Schultern gepackt.

Frantic ist auf alle Fälle kein Wahnsinnsfilm. Es kommen zwar ein paar Wahnsinnige vor, die für ein kleines Atombomben-Schalterchen viele Morde begehen, doch so ist das halt in einem souveränen Thriller der achtziger Jahre. Denn das nervenkitzelnde Vertauschen zweier Koffer ist ja nun beileibe kein Drehbuch-Einfall, der eine halbwegs talentierte KonsumentIn noch aus dem Kinosessel kippen könnte.

Doch niemand sollte die Rechnung ohne die Hauptfigur Harrison Ford machen. Der einstige Blade Runner steht seinen drögen und immer mehr in Verzweiflung

geratenden Chirurgen Dr. Walker konsequent durch. Altmodisch bebrillt und mit einer Frisur aus dem letzten Jahrhundert ist es allein seine dramaturgische Aufgabe, die ZuschauerInnen durchs düster anti-touristische Paris zu leiten.

Dem unattraktiven Kalifornier ist nämlich die Ehefrau (Betty Buckley) abhanden gekommen und das auch noch im quatre-cent-deux des fein renovierten Grand Hotels. Da ist guter Rat selten, denn das Hotelmanagement und die Polizei denken in der amourösen Hauptstadt der alten Welt ohnehin nur an das eine. Das muß sich der radebrechende Amerikaner in Paris aber voll verbitten, denn die Sorge um seine Gattin macht ihn ganz frantic.

So rennt er von Pontius zu Pilatus, er überwindet gar alle security-checks der US-Botschaft, doch alles nur, um sich von berlinernden Dull-Beamten (die Synchronfirma gehört auf den Mond geschossen) doch nur wieder bestätigen zu lassen, was ihm vorher ganz und gar nicht klar war: In der Fremde brauchts den ganzen Mann, besonders wenn alles dar

auf hindeutet, daß diese Araber neuerdings schon an der Seine operieren.

Und Mr. Walker, mittlerweile dem frenzy schon ganz nahe, tapst unaufhörlich dem show-down entgegen, ohne jede Ahnung, wo es denn eigentlich langgeht. Da findet er sich unvermittelt in Disco-Kaschemmen wieder, sieht seinen Ausweg in einem Treppenhaus auf der einen Seite durch eine en -passant-Kopulation und auf der anderen durch eine Leiche versperrt, und schließlich turnt er gar, der Erfindung der Klischees sei Dank, halsbrecherisch und barfuß über die Dächer von Paris.

Armer Mr. Walker, nicht einmal die puppengleiche Michelle (Emanuelle Seigner) vermag sein Vertigo zu mindern, ganz im Gegenteil, sie macht alles nur noch schlimmer. Terroristen, Schießereien, Kokain und Agenten - das ist der Stoff, aus dem so ein richtiger Frankreich-Trip besteht. Doch am Ende hört es dort auf, wo es für viele erst anfing. Unter der Freiheitsstatue - mitten in Paris.

Jürgen Francke

UT 1, 14, 17, 20 Uhr