Olympisches Gefackel in Südkorea

Seoul vor den Olympischen Spielen: steigende Spannung, volle Gefängnisse und ein extensiver Fackellauf  ■  Aus Seoul Jürgen Kremb

Mit der Ankunft der „geheiligten olympischen Flamme“, wie es in den südkoreanischen Medien so schön heißt, ist nun im Land der Morgenstille endgültig die letzte Phase des heißen vorolympischen Spektakels aufgeflackert. Es ist schwer vorstellbar, daß die Spannung bei den eigentlichen 24.Olympischen Sommerspielen, die am 17.September beginnen, noch steigerungsfähig ist.

Wie kaum ein anderes Austragungsland zuvor hat Südkorea jede politische, wirtschaftliche und schlichtweg seine gesamte nationale Frage seit Jahren mit diesem vierzehntägigen Sportereignis verknüpft. Angeblich wurde demokratisiert für Olympia. Die Wirtschaft flammt auf wie in Japan nach deren Olympiade 1964 in Tokio. Und die Knäste sind, wie die Familienangehörigen von politisch Verfolgten mitteilen, wegen Olympia voll mit Studenten.

Für Südkorea scheint es aber dieser Tage keinen Gedanken an die Zeit nach Olympia zu geben - jedenfalls auf den ersten Blick. Seit Jahren hat an allen öffentlichen Gebäuden ein Count-Down begonnen, der just am 17.September endet. Lediglich eine Polizeistation war letzte Woche zu beobachten, die beim Rückwärtszählen einen Tag gezögert hatte, so daß zwei Tage lang „noch 30 Tage bis zu den 24.Olympischen Sommerspielen“ zu lesen war, bevor man flugs auf 28 übersprang. Aber wen wundert's. Das war in der Nähe der streitbaren Yonsei Universität, wo man teilweise mehr mit dem Austreten von Brandbomben beschäftigt ist als mit der olympischen Flamme und dem Rückwärtszählen.

Will man etwas über Sinn und Zweck der jeweiligen Spiele und die tieferen Beweggründe des Gastgeberlandes erfahren, so ist es ratsam, das Gefackel mit der „heiligen olympischen Flamme“ genauer unter die Lupe zu nehmen. Es begann erstmals 1936, als die Nazis von Griechenland aus durch den gesamten Balkan sprinten ließen, um Berlin zu entflammen. Militärhistoriker haben nachher herausgefunden, daß wenige Jahre später auf dem gleichen Weg die deutsche Wehrmacht einmarschierte.

Los Angeles ließ 1984 keinen Zweifel daran aufkommen, was das Sportspektakel für die USA bedeutete. Wer die Flamme einen Kilometer durch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten tragen wollte, mußte 1.000 Dollar zahlen. Da Südkorea nun für sich beansprucht, die größten, besten und schönsten Spiele aller Zeiten zu organisieren, hat man auch beim Fackellauf die Ziele ein bißchen hochgesteckt. Obwohl das ostasiatische Land gerade 400 Kilometer von Norden nach Süden mißt, sollen in den nächsten drei Wochen 29.972 Läufer die Fackel auf einem 4.163 Kilometer langem Zick-Zack-Kurs quer durch die Hälfte der Halbinsel tragen. Damit hat bis zur Eröffnung schon jeder zweitausendste Südkoreaner an den Spielen mitgewirkt. Der Seouler „Ausländische Korrespondenten-Club“ befürchtet deshalb auch in seinem Vereinsblatt, daß die Südkoreaner in ihrem leichten Hang zur nationalen Selbsterhöhung die Spiele zu einem riesigen lokalen Sportfest machen. Die ausländischen Schreiber sind freilich nur darüber sauer, daß noch wenige Tage vor dem olympischen Gefackel fast alle Pressekonferenzen, einschließlich derer des Präsidenten Roh Tae Woo, noch nicht mal ins Englische übersetzt werden.

Ob das dieser Tage noch auf die Schnelle dadurch gelöst werden kann, daß einfach mehr Ausländer koreanisch lernen, wie man mir im Innenministerium vorschlug, kann bezweifelt werden.