: Der Blick des Frauenhassers
Paul Vechhialis Film „Encore“ in Venedig / Der Schrecken der Megäre und das Geheimnis Mann ■ Aus Venedig Arno Widmann
Paul Vecchialis „Encore“ ist kein Aids-Film, sondern einer über die Liebe. Ein verheirateter Mann verläßt seine Frau, verliebt sich in einen Mann und stirbt an Aids. Die ersten Szenen ganz im Stil der französischen Boulevardkomödie, zugespitzte Dialoge, rasantes Tempo. Wenn von der einen zur anderen Minute ein Jahr vergeht, warum soll dann nicht die liebende Gattin schon im Augenblick, da sie die Brust des Mannes berührt, einen Orgasmus bekommen? So weit, so witzig.
Dann aber wird's ernst, denn schon lockt den Mann der andere Mann. Von diesem Augenblick an geht's ganz unironisch nur um die große Liebe. Als der Freund, der dem „Helden“ zu seinem Coming-out verhalf, ihn verläßt, da entdeckt dieser seine sadistische Ader. Er wird bekannt im Milieu als einer, der schlägt und verletzt.
Sehe ich das richtig? Der Autor sieht es ganz anders. Paul Vecchiali erklärt auf der Pressekonferenz: Die Beziehung zwischen Mann und Frau und die zwischen Mann und Mann sind gleich. „Der Geist, in dem ich sie dargestellt habe, ist derselbe. „Er täuscht sich oder uns. Die fordernde, auch abstoßende Nacktheit, die seine Hauptdarstellerin spielen muß, wird von keinem der Männer verlangt. Bei der Liebe von Mann zu Mann zieht die Kamera sich nach dem Kuß diskret zurück. Vecchiali setzt hier nicht auf die Komik des Tiers mit acht Beinen, auf den enterotisierenden Effekt sexueller Drastik. Das sexuelle Verlangen der Frau dagegen wird lächerlich gemacht, runtergezogen. Sie reißt sich die Kleider vom Leib und stellt sich zwei Meter vor ihn hin und sagt: Nimm mich. Angewidert wendet der Gatte sich ab. Er scheint unter ihrer Begierde zu leiden. Nichts davon in der schwulen Beziehung. Deren Brutalität wird erwähnt, interessant vergeheimnist. Zu sehen bekommt der Zuschauer nur zarte Zuwendungen.
Man darf den Augen nicht trauen. Die Katastrophe geht nicht von der schrecklichen Megäre aus, die den armen Kerl immer wieder ins Bett zieht, sondern von den Männern, die man nicht sieht, vielleicht auch vom so lieblich verlogenen weichen Michel, der unserem „Helden“ in die Lederszene nachstieg, weil er sich in ihn verliebt hatte. Ein Film für Frauenhasser oder solche, die diesen Blick auf die Wirklichkeit noch lernen wollen.
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