GAU statt Gaudi für 300.000

■ Kurz nach dem Absturz des italienischen Düsenjägers: Panik unter den Zuschauern in der Nähe. Die anderen ärgern sich nur über die Staus bei der Rückfahrt - und wollen wiederkommen.

D ie Rentnerin Amalie Moses, 74, fuhr bereits zum achten Mal zum Flugtag Ramstein. Aus Protest. Mit Transparenten, Sandwiches und Flugblättern demonstrierte sie seit morgens um acht mit rund 100 anderen Friedensfreunden gegen das alljährliche Spektakel der Militärs am West-Gate des größten NATO-Flughafens Europas.

Die „armen Irren“ vom St. Ingberter Friedensforum wurden beschimpft, kaum jemand nahm ihre Warnungen ernst. Warum auch? Das Motto des Tages: 300.000 können sich nicht irren. Soviel Schaulustige sollen es am Sonntag in Ramstein nach Angaben des Einsatzleiters, Polizeirat Dieter Frank, gewesen sein.

Wer die Irren tatsächlich waren, stellte sich erst heraus, als Amalie Moses und andere Demonstranten mal wieder nach zahlreichen Anpöbeleien („Alte, geh‘ nach Hause und leg‘ dich ins Bett“) frustriert auf dem Heimweg waren. Nur die rund 30 Personen große Gruppe der Wehrdienstverweigerer aus St.Wendel zog noch mit ihren Emblemen über das Gelände. Kaum jemand nahm Notiz von ihnen, Flugblätter wurden - wenn überhaupt - nur zögerlich entgegengenommen. Die Warnungen vor den tödlichen Gefahren der waghalsigen Manöver der Piloten mit ihren Kriegswaffen beachtete die actiongeile Meute nicht.

Kurz vor 15.30 Uhr entschied sich das Fernsehteam des Privatsenders SAT 1 dazu, die bislang gefilmten Szenen außerhalb der Airbase zusammenzuschneiden. Den wunderbaren Drehort zwischen Rollbahn und Taxi-Way direkt unter den Vorführungen der Fliegerstaffeln räumten die Kameraleute nur ungern. Das rettete ihnen das Leben.

Minuten später krachte an genau dieser Stelle ein italienischer Düsenjäger, Typ Aermacchi MB-339A, in die Schaulustigen, raste dann wie ein Feuerball weiter über ein deutsches Polizeifahrzeug samt Polizeihund in Richtung Ehrentribüne. Circa 120 m vor der Ehrentribüne kam das Wrack zum Stehen. Blitzschnell stand alles in Flammen, Menschen, Fahrzeuge, Imbißbuden. Ein Hauch von Vietnam.

Noch zwei weitere Jets stürzten ab, etwas weiter entfernt. Die grausige Bilanz: 39 Tote. 345 zum Teil lebensgefährlich Verletzte liegen noch in Krankenhäusern und 73Menschen wurden ambulant behandelt. Das jedenfalls sind die Zahlen, die der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU), ein eifriger Befürworter der Ramsteiner Flugshow, am Montag vormittag der Presse präsentierte.

Eine derartige „Katastrophe“ habe es bei Flugschauen noch nicht gegeben, wußte der Ministerpräsident zu berichten. Doch das Inferno war vorprogrammiert. „Irgendwann mußte so etwa ja passieren“, meinte einer der Demonstranten vor Ort.

Die drei Flugzeuge gehören zur italienischen Kunstflugstaffel „frecce tricolori“. Ihre Vorführungen galt bislang als Höhepunkt aller Flugshows. Klar doch, daß ihre Shows mit die spektakulärsten und halsbrecherichsten im wahrsten Sinne des Wortes sind.

Es war die letzte Übung der Staffel, genannt Apertura Arizona, bei der die „Katastrophe“ geschah. „Es sah aus wie ein Herz“, beschrieb die amerikanische Presseoffizierin, Major Cathy White, 34, die Vorführung. Neun Jets rasten von oben nach unten auf die Rollbahn zu, vier Maschinen bogen nach links, fünf nach rechts, und von unten flog der „Solista“ plötzlich knapp über dem Boden heran, zog dann die Maschine senkrecht gegen die anderen Flugzeuge hoch. Das alles gehörte zum Programm. Nur touchieren sollte er sie nicht. Doch genau das geschah in ca. 50-80 Meter Höhe über den Köpfen der sensationsgierigen Meute. Eine Stichflamme schoß aus der „Solista„-Maschine, und in Bruchteilen von Sekunden brach auf dem Gelände eine Panik aus.

„Ich hatte das Gefühl, ich verbrenne, und rannte und rannte“, so schilderte eine junge Augenzeugin ihre Flucht. Um sie herum lagen lauter Tote und Verletzte, berichtete sie. Sie erlitt, wie viele, einen Schock. Mehr als eine Stunde weinte sie ununterbrochen.

Ihr italienischer Freund kannte die abgestürzten Piloten und war nicht nur deshalb völlig verzweifelt. Nachdem die beiden im Krankenhaus behandelt worden waren, versuchten sie herauszufinden, wo ihre Freunde, die neben ihnen gestanden hatten, geblieben waren. Vergeblich, die amerikanischen Soldaten ließen niemanden mehr auf die Air-Base.

Auch die heraneilenden Journalisten wurden nicht zum Unglücksort gelassen. Mit Gewehrkolben gingen orientierungslose GIs gegen Presseleute vor. Wann der erste Rettungswagen bei den Schwerverletzten war, ist bislang nicht eindeutig geklärt. So berichteten einige Augenzeugen, mehr als eine halbe Stunde sei bis zum Eintreffen der Sanitätsfahrzeuge vergangen. Statt dessen sollen zahlreiche Amerikaner sich auf Militärlastwagen gestellt und dann sogar mit diesen versucht haben, an die Unglückstelle heranzufahren.

Auch der Pressesprecher des rheinland-pfälzischen Innenministers Rudi Geil (CDU), Jo Dietzen, gehört zu denen, die das Ereignis live erlebten. Woran denkt man in einer solchen Situation? „Ich habe an nichts gedacht“, meinte der konsternierte Dietzen zur taz. Sein Minister verpaßte das tödliche Szenario nur deshalb, weil er gegen 15Uhr per Hubschrauber nach Koblenz zum internationalen Leichtathletiksportfest geflogen war. Bis dahin hatte auch Geil wie zahlreiche andere christdemokratische Landespolitiker dem schauerlichen Spektakel ihre Referenz erwiesen. Zwei Stunden später war Rudi Geil wieder in Ramstein und dann war er der einzige der anwesenden Politiker, der davon sprach, daß „Flugtage wie diese nicht mehr verantwortbar sind“.

Völlig anders verhielt sich Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) am Unglücksort. Sein Mitgefühl und seine Sorge gelte den Opfern. Er habe „kein Verständnis dafür“, so Vogel zur taz, daß „man nach den ersten Stunden eines solchen Unfalls nicht die erste Frage nach den Opfern stellt“. Zudem sei „die ganze Tragweite“ des Unglücks noch nicht klar. Zu diesem Zeitpunkt stand schon fest, daß es mehr als 30 Tote gegeben hatte.

Doch nicht nur der Ministerpräsident hatte seine Black Outs an diesem Tag. Die kollektive Verdrängung einer Geilheit am tödlichen Spektakel lief auch diesmal wieder glänzend ab. Die meisten Zuschauer regten sich nur über eines auf: Die lange Wartezeit von bis zu vier Stunden beim Nach-Hause -Weg.

„Selbstverständlich“, so ein Familienvater, der mit seinen drei Söhnen und Frau nach Ramstein gepilgert war, werde er wieder hinfahren. „Wissen Sie, beim Zirkus stürzt auch mal ein Artist ab.“ Auch die beiden 19jährigen Mechaniker aus dem 250 Kilometer entfernten Künzelsau meinten bewundernd: „'ne Sache ist das scho'“. Andere betonten eher nachdenklich, daß man erst „in zwei Jahren wieder hereinschauen“ wolle. Bestürzung und Entsetzen, war nur bei den unmittelbar Betroffenen, die ihre Angehörigen suchten, zu finden. Und einer der kontrollierenden GIs meinte auf die Frage, ob es jemals wieder einen Flugtag in Ramsteim geben werde: „Klar, das waren doch nicht die Amerikaner, sondern die Italiener.“ Als im Radio dann der Nachrichtensprecher von mehr als dreißig Toten sprach, entfuhr ihm wenigstens ein kurzes „shit“.

Felix Kurz/Ramstein