Beileidsorgie nach Ramstein Tiefflieger düsen weiter

Heftige politische Debatte nach der Katastrophe / Plötzlich ist fast niemand mehr für Militärspektakel 43 Tote und 345 Verletzte / Militärische Kunstflugshows verboten / Denkpause bei Flugtagen  ■  Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) - Nach der Katastrophe auf der US-Airbase in Ramstein, die bis Montag mittag 43 Menschenleben forderte, hat Verteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) für die Zukunft alle militärischen Kunstflug-Shows untersagt, ohne anzudeuten, was er darunter versteht. Anstelle eines generellen Verbots aller Flugspektakel und Tiefflüge kündigte ein Sprecher der Bonner Hardthöhe an, Scholz lasse jetzt gemeinsam mit den Alliierten prüfen, wie künftig „die Einsatzfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Luftstreitkräfte dargestellt werden können“. Bis dahin fänden im Einverständnis mit den „Verbündeten“ in der Bundesrepublik überhaupt keine Flugtage mit Militärmaschinen statt. Das bedeutet zunächst nur, daß zwei noch in diesem Jahr geplante Flugtage in Lechfeld und Haan, von denen einer bereits abgesagt war, nicht stattfinden werden. Über die Zukunft weiterer Flugtage ebenso wie über die Definition von „Kunstflügen“ konnte das Verteidigungsministerium keine klare Auskunft geben.

Den gewohnten Krach verursachten unterdessen gestern in Rheinland-Pfalz Tiefflieger. Nach Angaben der in Koblenz erscheinenden 'Rhein-Zeitung‘ empörten sich am Montag LeserInnen bei mehreren Lokalredaktionen, daß ungeachtet des Unglücks die Tiefflieger über ihre Häuser donnerten.

Die Kreisverwaltung Kaiserslautern teilte gestern nachmittag mit, 345 ZuschauerInnen der Flugschau in Ramstein, darunter zahlreiche Kinder, seien schwer verletzt worden. Sie liegen mit zum Teil lebensgefährlichen Brandwunden in 21 Krankenhäusern. Es müsse davon ausgegangen werden, daß ein Teil der Schwerverletzten nicht überleben werde, hieß es.

Bevor Scholz seine Entscheidung bekanntgab, erklärte Landrat Rudolf Tartter, der Kreistag Kaiserslautern habe seit 1984 das Verteidigungsministerium „in jedem Jahr darum gebeten, den Flugtag nicht durchzuführen“. Regelmäßige Antwort von der Hardthöhe: „Die Gesetze lassen die Darbietung zu. Die Einsatzbereitschaft der Piloten soll unter Beweis gestellt werden.“ Noch am Freitag hatten die Grünen ein Verbot der Flugshow gefordert.

Scholz hatte sich auch in den vergangenen Monaten in einem Briefwechsel mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Rau, der als Schirmherr für die Show in Nörvenich vorgesehen war, vehement für die Durchführung dieses Flugtages eingesetzt. Den Vorschlag von Rau, statt eines Flugtages solle man einen „Tag der offenen Tür“ machen und die Kampfmaschinen lediglich am Boden vorführen, lehnte Scholz rundherum ab. Der geplante Großflugtag, so Scholz an Rau, sei ganz im Sinne der Besucher, „die unter anderem als Steuerzahler ein besonderes Interesse an einer entsprechenden Unterrichtung über das Leistungsvermögen der ihre Sicherheit garantierenden Systeme mitbringen“. Weil Rupert Scholz die „Hauptverantwortung“ für die Katastrophe trage, verlangte der Abgeordnete der Grünen, Mechtersheimer, dessen Rücktritt. Der Grünen-Politiker Kerger stellte Strafanzeige gegen den Verteidigungsminister wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung. Darüber hinaus erneuerten die Grünen die Forderung nach einem generellen Tiefflugverbot.

Ganz im Gegensatz dazu sämtliche Reaktionen anderer Politiker, Gewerkschafter und Verbandsfunktionäre. Sofern überhaupt eine Eindeutigkeit in ihren Stellungnahmen auszumachen war, bezieht sie sich auf das „überdenkenswerte“ Verbot von Flugschauen „zum Zweck der Gaudi“ (rheinland -pfälzische FDP). Für die Darstellung des „Kriegshandwerkes“ fanden sich Befürworter, etwa der ehemalige Inspekteur der Luftwaffe, Johannes Steinhoff, oder der Vorsitzende des Bundesverteidigungsausschusses, Alfred Biehle (CSU). Eine „Pause bei den Flugtagen“, okay, aber „grundsätzlich falsch sei es, unter der Schockwirkung von Ramstein Flugtage grundsätzlich zu verdammen und zu allem Nein zu sagen“. Der Mainzer Ministerpräsident Bernhard Vogel, der von Strauß ein Kondolenztelegramm erhielt, sagte, die Veranstaltung in Ramstein sei „eine zuviel“ gewesen. Politische Zurückhaltung demonstrierte der SPD-Parteivorstand: „Dies ist nicht die Stunde für Vorwürfe und kritische Auseinandersetzungen.“ Kommentar auf Seite 4

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