Drei Tage ohne Essen

■ Razzia und Verhaftungen auf einem portugiesischen Campingplatz

Tatort Europa - Camping provisorio, paragem Santa Clara a. Velka, Alentejo, Portugal. Am 17.5.1988 fand in den frühen Morgenstunden eine Razzia der Guarda National Republicana (GNR) von Saboia unterstützt von der Policia Judiciaria (PJ) auf einem gebührenfreien Campingplatz statt. Die mit Maschinenpistolen, Gummiknüppeln, Eisenstangen und Fotoapparat bewaffneten Polizisten beschlagnahmten etliche Stichwaffen (Brotmesser), eine Signalpistole, eine Wasserpfeife, einmal Fahrzeugpapiere plus Wagenschlüssel (das Auto blieb stehen), ein altes „Spritzbesteck“ und eine ca. vier Wochen alte Graspflanze (eingepflanzt in einer H -Milchtüte). Allen Besuchern wurden ihre Ausweise und Pässe entzogen, die sie sich in den folgenden Tagen persönlich im Polizeirevier abholen mußten. Drei Menschen (darunter irrtümlich ein englischer Familienvater, er hatte nach einer Quittung gefragt) wurden verhaftet und mehrere Stunden mit Sprechverbot gezwungen im Polizeirevier Saboia zu warten. Ohne Erklärung und die Möglichkeit Verwandte oder Freunde zu benachrichtigen, wurden die Gefangenen in einer lebensgefährlich rasenden Fahrt nach Portimao gebracht. In einer Zweimannzelle wurden die drei Gefangenen bis zum Termin beim Untersuchungsrichter, drei Tage ohne Verpflegung festgehalten. Auf mehrmalige Bitten nach Essen und Getränken antworteten Polizeibeamte, sie seien nicht zuständig und hätten auch keinen Schlüssel für die Zelle. Erst nach mehr als dreißig Stunden ohne Verpflegung fand sich ein mitleidender Beamte bereit, sich für die Gefangenen einzusetzen. Die Gefangenen bekamen ein trockenes Brötchen mit Wurst und zwei Mini-Dosen Saft und mußten 500 Escudos bezahlen (der Engländer hatte Gott sei Dank Kohle, sonst hätten die Beamten es wieder mitgenommen). Ich als Vegetarier hatte nur ein trockenes Brötchen. Den Gefangenen wurde keine Möglichkeit gegeben, sich vor dem U-Richter -Termin zu waschen, zu rasieren oder die seit drei Tagen getragenen und mit Parasiten bestückten Kleider zu wechseln. Somit war der erste Eindruck des U-Richters festgelegt. Der Engländer kam aufgrund der Irrtümlichkeit frei, der Hamburger Bunthaarige und der Berliner Langhaarige wegen mangelnden Outfits und ohne Begründung in die Kiste. Es folgte zehntägiger Aufenthalt im Estabilisamento Prisional Regional, (E.P.R.) in Portimao, eine Woche in Faro und seit dem 3.6.88 in Beja. Bislang blieb ein Haftbefehl und eine Anklageschrift aus. Auch hat sich die bundesdeutsche Botschaft in Lissabon trotz mehrmaliger Aufforderung noch nicht bereitgefunden, sich für die Gefangenen einzusetzen oder sie nur zu besuchen.

Erste Person: Andreas Bittner. Bei dem Hamburger Punk fand man am Tag der Razzia ein gebrauchtes Heroinbesteck, Filter, einen Teelöffel und leere Plastiktütchen (was der GNR -Polizist „Dasilva“ bestätigen könnte.

Zweite Person: Alfred Heiss. Alfred kaufte einige Tage vor der Razzia von einem in Portugal lebenden Deutschen, ein deutsches Fahrzeug, das vom deutschen Konsulat in Port abgemeldet wurde. Die entstempelten Kennzeichen wurden, zwecks Sendung nach Deutschland, demontiert. Zusammen mit dem entwerteten Fahrzeugbrief warteten sie auf den Abtransport nach Deutschland. Auf Rat von Mitcampinggästen, die erlebt hatten, daß Fahrzeuge ohne Kennzeichen von der Polizei beschlagnahmt wurden, montierte Alfred die von ihm im August '87 in Deutschland gekauften und zugelassenen Zollkennzeichen. Diese Zollkennzeichen gehörten zu einem PKW, der aufgrund seines Alters verschrottet worden war. Diese Zollkennzeichen hatten den einzigen Grund, den Wagen vor der Ummeldung vor der Beschlagnahme zu schützen. Das Auto war in einem nicht fahrbereiten Zustand. Beschlagnahmt wurden dann Fahrzeugbrief, internationale Zulassung, Fahrzeugschlüssel, internationaler Impfpaß, Personalausweis und ein Bundeswehrmesser.

Da wir, Andreas Bittner und Alfred Heiss, befürchten müssen, daß unsere Verfahren verschleppt werden, und dadurch für uns wichtige Zeugen wieder abreisen, fordern wir mit Hungerstreik ab dem 17.8.88, falls wir bis dahin noch in Haft sind, eine Haftprüfung und unsere sofortige Freilassung. Dafür brauchen wir eure Unterstützung. Bitte helft uns aus diesem Zuchthaus, wo Ausländer nicht besser behandelt werden als Ausländer in Deutschland, herauszukommen.

Alfred Heiss, Andreas Bittner, EPR Beja, den 2.8.88

Nachtrag vom 21.8.88

Mit Freude können wir mitteilen, daß unser Hungerstreik, begonnen am Morgen des 17.8. erfolgreich für uns geendet hat. Nach dreieinhalb Tagen „Wasserkur“ wurden unsere Forderungen am späten Nachmittag teilweise erfüllt. Wir bekommen endlich nach drei Monaten des „Nichtwissens“ eine Anklageschrift mit genauem Vorwurf und Stand der Ermittlungen vom Gericht in Odinnira zugestellt. (...) Man versicherte uns, daß wir gegen Ende September mit unserer Verhandlung rechnen können. Somit haben wir unseren Hungerstreik vorübergehend eingestellt. Sollte bis zum 30.September noch kein Termin feststehen, werden wir den Hungerstreik wieder aufnehmen.

Es war für uns recht lustig zu beobachten, wie durch unseren Hungerstreik der eher langsame Justizapparat in Portugal plötzlich zu Höchstleistungen gebracht wurde und die Leute gemerkt haben, daß es uns ernst ist. (...) Und auch die deutsche Botschaft, die sich bei uns bisher bloß durch formelle Kopieschreiben gemeldet hatte, wurde nach unserer Mitteilung direkt „persönlich“. Mann/Frau wolle alles tun, um uns zu unterstützen und zu helfen und plötzlich kein Wort mehr von „Sommerpause-bedingtem Personalmangel“.