„Die Offiziellen sind nur verbalradikal“

■ Zwischen Solidarnosc und den offiziellen polnischen Gewerkschaften OPZZ ist eine Annäherung fraglich, obwohl die OPZZ eine Koalition angeboten hatten / Letztere wollen Reförmchen, erstere einen Gewerkschaftspluralismus

Hinter den Kulissen sind in Polen die Fronten in Bewegung geraten. Ob das von Innenminister Kiszaks vorgeschlagene Round-Table-Gespräch realisierbar ist, hängt vom Entgegenkommen der Regierung in der Gewerkschaftsfrage ab. Lech Walesa hat am Montag nachmittag deutlich gemacht, daß er Verhandlungen nur als Vertreter der verbotenen Gewerkschaft Solidarnosc führen werde. Um deren Wiederzulassung müsse es auch bei den Gesprächen gehen. Als dritte Kraft versuchten sich in der vorigen Woche auch die offiziellen Gewerkschaften, OPZZ, zu profilieren. Klaus Bachmann sprach über diesen Themenkomplex mit Konrad Bielinski, Mitglied der Exekutivkommission der Solidarnosc für Warschau und die Umgebung (Region Masowsze).

taz: Auf der Sitzung des ZK hat der Vorsitzende der offiziellen Gewerkschaften, Alfred Miodowicz, die Wirtschaftspolitik der Regierung sehr scharf angegriffen und Verständnis für die streikenden Arbeiter geäußert. In der letzten Woche gab es von seiten der OPZZ sogar ein Koalitionsangebot an die Solidarnosc. Was ist davon zu halten?

Bielinski: Die OPZZ sind in einer sehr schwierigen Lage. Einerseits ist ihr Vorsitzender Mitglied des Politbüros und der höchsten Parteigremien, andererseits bemühen sich die OPZZ schon seit ihrer Gründung sehr intensiv, das Vertrauen oder zumindest eine gewisse Akzeptanz unter den Arbeitern zu erwerben. Daher kommt es oft vor, daß die OPZZ verbal ihre Unterstützung für die Arbeiter bekunden und auch die Regierung kritisieren, etwa bei Preiserhöhungen. Wichtig ist, daß sie das immer nur verbal tun und sich anschließend wieder davon zurückziehen. Daher glaube ich, daß die neueste Erklärung einfach ein Teil jenes Szenariums der Regierung ist, die Streiks möglichst schmerzlos zu beenden. Kann auch sein, daß die neueste Erklärung einfach erfolgte, um sich von der Intervention der ZOMOs (paramilitärische Sicherheitskräfte, Anm. d. Red.) in Schlesien zu distanzieren.

Sie sprechen nur von verbalen Protesten. Im Mai wurde die Streikwelle aber von einem OPZZ-Gewerkschafter in Bydgoszcz ausgelöst.

Man muß da die Führung von der Tätigkeit gewisser Mitglieder der offiziellen Gewerkschaften unterscheiden. Auf niederer Ebene gibt es Funktionäre, die wirkliche Gewerkschafter sind. Schließlich leben sie ja in der Arbeitswelt.

Sind die offiziellen Gewerkschaften Ihrer Meinung nach im Moment eher Befürworter oder eher Gegner der Wirtschaftsreform?

Ich weiß es auch nicht. Sie äußern sich sehr schwammig. Sie erklären ihre Unterstützung für die Regierung, für die Reform, andererseits sind ein großer Teil der OPZZ -Funktionäre Leute, die in den Betrieben zwar Einfluß und Macht haben, aber kaum produktionsnotwendig sind. Es ist ganz klar, daß sie ihre Privilegien nicht verlieren wollen. Und genau das will die Reform ja abschaffen.

Die Solidarnosc ist ja für die Reform, auch wenn sie auf Kosten der Arbeiter geht. Kann denn eine Gewerkschaft solch einen Kurs auf Dauer durchhalten?

Die Mehrheit der polnischen Arbeiter hat im Moment das Bewußtsein, daß die Lage völlig hoffnungslos ist. Daher versuchen sie, ihre Interessen angesichts einer immer galoppierenderen Inflation zu verteidigen. Gleichzeitig ist aber auch klar, daß diese Verteidigung nie wirklich erfolgreich sein wird, daß sie trotz allem doch dabei verlieren werden. Daher ist die Forderung nach Wiederzulassung von Solidarnosc nicht nur der Ruf nach eigenen unabhängigen Organisationen, sondern die Forderung, aufzuhören mit der Politik, die bei uns nach dem 13.Dezember 1981 gemacht wurde. Die Forderung nach Legalisierung von Solidarnosc entspringt dem Verlangen, selbst Einfluß nehmen zu können auf Regierungsentscheidungen. Allen ist klar, daß das herrschende System geändert werden muß und daß das auch Kosten mit sich bringen wird.

Manche Beobachter sprechen von sensationellen Zugeständnissen an die Opposition, nämlich davon, daß sie Sitze in der geplanten zweiten Parlamentskammer erhalten solle, von der Cyrek am Sonntag sprach.

Der Witz besteht darin, daß diese Angebote gemacht werden anstelle der Wiederzulassung von Solidarnosc. Und das ist sinnlos. Zugeständnisse an die Intellektuellen machen schließlich die Arbeiter nicht zufriedener. Richtig wäre es, Zugeständnisse zu machen nicht anstelle, sondern durch die Zulassung von Solidarnosc.