: „Revision des Verkehrskonzeptes gescheitert“
■ SPD-Delegierte des Unterbezirks Ost beschlossen mehrheitlich, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die über Verkehrskonzepte nachdenken soll / KritikerInnen: „Freifahrschein für die Verwaltung“ / Baustopp-Antrag aus Schwachhausen gescheitert
Alle, alle wollten nur das eine: den ÖPNV (Öffentlichen Personen-Nahverkehr), und zwar ganz vorrangig. Und niemand wollte, um Himmels willen, die SPD-Ortsvereine gegeneinander ausspielen, zum Beispiel Hemelingen gegen Schwachhausen, Peterswerder gegen Habenhausen. Aber nachdem in der SPD der ÖPNV schon seit 10 Jahren in allen Papieren und Beschlüssen Vorrang hat, standen der Delegierten -Konferenz des SPD-Unterbezirks (UB) Ost am Donnerstagabend zwei ganz verschiedene Vorstellungen von Verkehrsplanung beide unter dem Banner des ÖPNV - zur Debatte.
Eine engagierte Gruppe Schwachhauser GenossInnen hatte einen Antrag eingebracht, der die alten, schönen Worte zum ÖPNV ernst nehmen und in Ver
kehrspolitik praktisch umsetzen wollte. „Der Kredit der Verkehrsplaner ist aufgebraucht“, faßte Gerd Syben aus Schwachhausen zusammen, „oben drüber steht immer 'ÖPNV‘, und gebaut werden Straßen und Trassen. Ihr habt 10 Jahre lang nicht getan, was ihr gesagt habt.“ Der Kerngedanke der SchwachhauserInnen: Weil dem wachsenden Verkehrsaufkommen gar nicht hinterherbetoniert werden kann und immer breitere Straßen nur immer neue Verkehrsströme anziehen, will der Antrag keinem Straßenbauprojekt (außer dem Hemelinger Tunnel zur Autobahn) mehr zustimmen, ehe nicht ein Konzept zum konsequenten Ausbau des ÖPNV vorliegt.
Der „Leitantrag“ des UB-Vorstands dagegen versuchte, das eine mit dem anderen zu verbinden: Priorität für den ÖPNV und
„unterstützende und ergänzende Straßenbau-Maßnahmen“ standen da harmonisch nebeneinander, „nur zusammen“ sei beides denkbar (UB-Vorsitzender Armin Stolle). Als „Freifahrschein“ und „Blankoscheck“ für die Verwaltung, die weitermachen könne wie seit 1980, hatten KritikerInnen die Sowohl-als -auch-Formulierungen abgelehnt. Christian Weber erbittert: „Nach solchen Beschlüssen hat der Bausenator seit 1979 die Linien 2 und 10 nicht verlängert!“ Fraktionschef Claus Dittbrenner, für den Leitantrag, fragte dennoch sich und andere: „Kann denn Flächenversiegelung eine sozialdemokratische Position sein?“
Temperamentvoll und kämpferisch las Gisela Fröhlich, seit 6 Jahren OV-Vorsitzende im stark verkehrsbelasteten Hemelingen, den Delegierten die Leviten:
„Das Recht auf Leben ohne Lärm haben alle! Wir mußten immer kämpfen um jede Straße! Wir wollen Taten sehen und Ruhe finden!“ Seit der Ansiedlung von Daimer-Benz ersticken die Hemelinger und Sebaldsbrücker BürgerInnen in Blechlawinen; sie wollen endlich ihre Trasse Richtung Schwachausen.
Die zuständige Senatorin „für Stadtentwicklung und Umweltschutz“, Eva-Maria Lemke-Schulte, fand eigentlich, daß ÖPNV und Straßenbau prima zusammengehe und daß der ÖPNV schon im 80er Konzept wichtig genommen sei. Für den „Vorrang des ÖPNV“ war sie und auch ganz für den Leitantrag des Vorstands; „Straßenbau nur, weil wir für Straßen-Rückbau sorgen wollen“, und bei der Benneckendorff-Allee würden auch „ökologische Gesichtspunkte bis zum
es-geht-nicht-mehr“ berücksichtigt werden. Den eigens verteilten „Terminplan“ aus ihrem Hause hielten GenossInnen mehrfach der Senatorin vor: Von neun Bau-Maßnahmen betrifft nur eine den ÖPNV (Verlängerung der Bahn bis Osterholz), und die soll 1990, zuletzt nach allen Straßenbauten, beginnen mit der Planung. Die Durchführung läge dann nach der nächsten Wahl.
Zu fortgeschrittener Stunde und nach endlosem Hickhack, nach gefaßten und sofort verworfenen Beschlüssen kam schließlich weder das eine noch das andere heraus, sondern eine Art Notlösung: Der UB-Leitantrag, der entgegengesetzte Schwachhauser Plan und sämtliche Einzelanträge für und gegen Georg-Bitter- und Beneckendorff-Allee wurden an eine Arbeitsgruppe „überwiesen“. Das war ganz und
gar nicht die Denkpause, das Moratorium, der Baustopp, den die Schwachhauser sich gewünscht hatten. „Der Angriff auf das Verkehrskonzept ist gescheitert“, resümierte am Schluß Gerd Syben, Vorsitzender eines Schwachhauser SPD -Ortsvereins, „eine Revision des Konzeptes hat es nicht gegeben.“
Für die Senatorin Lemke-Schulte sagte gestern Pressesprecher Ritzel: „Wir können mit dem Beschluß leben“, und die Senatorin wolle den ÖPNV wirklich berücksichtigen „allerdings trotzdem leistungsfähige Trassen“ bauen und „Bremen für Autos nicht dicht machen“. Ihr Senatsdirektor Hans-Otto Schulte, seit fünf Monaten im Amt, hatte in den vergangenen Wochen vor allem eins betont: Daß dies erst der Beginn der Debatte und alles noch völlig offen sei. Susanne Paa
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