BILDER EINER UNTERGETAUCHTEN

■ Hannah Höch in der Kleinen Orangerie

Eine Wiederbegegnung mit der frechen, witzigen, schnittlustigen und aufsässigen Hannah Höch hatte ich erwartet. Diese Erwartung orientierte sich an ihrer großen Collage mit dem programmatischen Titel „Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“ aus der Nationalgalerie. In der Berlinischen Galerie hängen ihre beiden grotesk -anmutigen Marionetten, mit denen Hannah Höch schon die großen Dada-Ausstellungen bestückte. Sie bezeugen nicht nur ihre liebevolle und archaische Faszination durch die Puppe, sondern stehen auch stellvertretend für den gebannten Blick der Dadaisten auf die Mechanik. Die Berlinische Galerie zeigt Höch als eine zentrale Figur im dadaistischen Männer -Club, die nicht nur entscheidend an der Entwicklung der Montage-Technik mitgearbeitet hat, sondern auch durch ihr Archiv, in dem sie Dada-Dokumente sammelte und über die Zeit des Faschismus und Zweiten Weltkriegs rettete, für die Wiederentdeckung und Aufarbeitung dieser Epoche Sorge trug. Dieses Archiv ist jetzt im Besitz der Galerie. In meinem Bildgedächtnis ist Hannah Höch vor allem noch gegenwärtig mit ihren bösen, die bürgerliche Moral zersetzenden Brautpaarbildern aus den 20er Jahren: Da ist der Braut oft ein übergroßer Kinderkopf, naiv und unfähig, aufmontiert, während der Bräutigam von einer Modepuppe, einem Kleiderständer oder hohlem Anzug dargestellt wird. Beide umgeben schreckliche Attribute der Zweisamkeit: saugende Babys, folternde Küchenmaschinen, bleischwer gefesselte Herzen, die Ödnis und Kälte nicht vertreiben könnende Blumentöpfe und Öfen.

Doch auf eine andere Richtung ihrer künstlerischen Produktion setzt die jetzige Ausstellung in der Kleinen Orangerie den Schwerpunkt, die aus der Sammlung der Familie Rössner, Erben Hannah Höchs, stammt. Nur zum Teil sind diese Bilder in den 20er Jahren entstanden. Schon ihr Leben in den 30er Jahren erfuhr die Künstlerin unter dem Druck zunehmender Vereinsamung: „Während meines Aufenthaltes in Holland war mir mein Kontakt mit der Berliner Kunstwelt verloren gegangen. Als ich nach Deutschland zurückkam, war dort die Atmosphäre einer künstlerischen Betätigung nicht sehr günstig.“ Ab 1939, die anderen ehemaligen Dadaisten waren ausgewandert, zog sie sich in ein ländliches Leben in Heiligensee zurück, tauchte unter in ein Häuschen mit Garten, wo sie bis zu ihrem Tod 1978 blieb. Dort im Garten vergraben bewahrte sie ihr Archiv; dort im Garten lebte sie vor, während und nach den Kriegsjahren in relativer Autarkie - und Einsamkeit. Dort erlebte sie „soviel differenzierte Farben und Formen, Zartheit und rauscherzeugende ästhetische Genüsse, daß er meinen Hunger nach dem Vollendeten, dem Großen und Einmaligen stillt“ (Zitate nach „Hannah Höch, Werke und Worte“, Galerie Remmert und Barth, Düsseldorf 1982). Ihre Bilder aus dieser Epoche bezeugen oft eine heftige und schmerzhafte Betroffenheit durch ihre Lebensumstände. Sie zeigt sich als eine an Bildverschlüsselungen reiche Malerin. Während die dadaistischen Bildformulierungen sich in ihrer Kritik, Aggressivität und Witz intellektuell souverän geben, belegen die anderen Arbeiten oft eine bedrängende Wucht der Themen, gegen die die Künstlerin zwar mit stilistischer Vielfalt, aber doch häufig mühsam ankämpfte.

Mit dem intimen Vorgang der Geburt setzte sich Hannah Höch mehrmals auseinander. Ein Aquarell (1921) „Skizze zur Geburt“ zeigt trotz der warmen rot-blauen Farben eine abschreckende und bedrückende Szene: Ein Kind, gerade geboren und noch durch die Nabelschnur mit der Mutter verbunden, liegt doch wie ausgesetzt und verloren zwischen ihren aufgestellten Beinen. Die Gesichtszüge der Frau sind nach großer Erschöpfung abgeschlafft. Dies ist keine Szene der Liebe, sondern ein Moment illusionsloser Einsamkeit. Eine zweite Frau, die neben der Gebärenden mit einer Waschschüssel steht, wirft einen bedrohlichen Schatten. Im Gegensatz zu dieser herben Skizze steht das drei Jahre später entstandene Gemälde „Geburt“. Die Malerin ist dichter an die Szene herangerückt, sie sitzt eigentlich vertraulich auf der Bettdecke der jungen Frau, die nun im bekannten Gestus der Mutter ihr Kind im Arm wiegt und auf es niederblickt. Die Frau mit der Waschschüssel, die sich wieder seitlich nähert, erscheint hier gleich zur Familie gehörig. Doch die Darstellung der Idylle gelang um einen ungewohnten Preis: Das Bild ist in einem enttäuschenden, folkloristisch eingefärbten und spätexpressiv konventionellen Stil gemalt.

1924 ist auch das Aquarell „Ewiger Kampf“ entstanden: Vogelschnäblige Kopffüßler, Würmer mit aufgerissenen Mäulern, schreiende Teufelsmasken und andere zähnefletschende Ungeheuer haben sich ineinander verknotet, verschlungen, verbissen. Diese aggressive, düstere und wörtliche Illustration des „Fressens- und Gefressen-Werdens“ stellt die gefürchtete Kehrseite des „Werdens und Vergehens“ in der Natur dar, dessen scheinbar verläßlicher, tröstlicher und immer wiederkehrender Schönheit Hannah Höch einen größeren Teil ihres Lebens widmete: in der Kultivierung ihres Gartens und in der Natur verbundenen Bildern.

Chronologie der Metamorphosen

Mit trauernd geneigten Köpfen schon zu Grabsteinen erstarrte Figuren, Gestalten, die ihren Tod vorwegnehmen: „Requiem“ (1933). Ein Sturm beugt und zerfetzt die Blumen, zwischen denen kleine Geschöpfe als elfengleiche Pflanzenseelen zerrissen werden: „Sturm“ (1935). Eine lange, kalte Allee mit kahlen Bäumen bestanden; expressiv beschwörend hebt eine Frau am unteren Bildrand die Hände geht sie noch einen Schritt weiter, läßt sie das trostlose Bild leer zurück: „Angst“ (1936). In einem zarten Aquarell hält eine Maske mit träumerisch geschlossenem Mund und nichts sehenden Augen ein mondgesichtiges Gespensterchen im Arm, während sich unter ihr der Kopf eines schlangengleichen Ungeheuers erhebt. Ein Bild, um einen Alptraum zu fassen und ihm den Kopf abzuschlagen: „Leviathan“ (1940). Sehnsucht nach nicht mehr erfahrbarer Schönheit: in „Berglandschaft“ (1941) stehen zwischen scharfkantigen, nackten Steinplatten gestochen scharf, wie aus einem biologischen Bestimmungsbuch ausgeschnitten, Blumen. Doch man glaubt ihrem üppigen Wachstum in der Kälte nicht. Hinter der höchsten Felskante geht rot die Sonne auf, aber die Landschaft bleibt ohne Atmosphäre wie ein schlechter Bühnenprospekt. Schließlich verstummte, ausgehungerte Gestalten, bis in die Unendlichkeit hintereinandergestaffelt und brüllend verzerrte Kindergesichter: „Im Lager“ und „Bomben fallen“. Zeichnungen aus dem Zyklus „Notzeit“ (1943), in denen der Zeichenstift einen Jammer und Schmerz notiert, den er noch nicht fassen kann, und die Form von einem noch andauernden Druck des Entsetzens diktiert wird.

Diese kurze Chronologie vermittelt das Bild einer wenig bekannten Hannah Höch. Nicht das dadaistische Funkeln steht im Mittelpunkt, sondern ihre Verfügung über symbolistische, expressive und konstruierte Ausdrucksmittel und ihre unendliche zeichnerische und malerische Erfindungskraft, die von der Collage inspiriert, ihre Gestalten aus divergierenden Teilen und Eigenschaften zusammensetzt. Bastarde aus Natur und Technik bewohnen die Landschaft, die in das Innere der Ängste und Hoffnungen blicken lassen.

Diese Ausstellung über eine fremde Hannah Höch ist fast zufällig und in provinziellem Rahmen in die Kleine Orangerie gekommen. Während die Berlinische Galerie, in der seit drei Jahren an einer Edition von Hannah Höchs Archiv gearbeitet wird, für 1989 eine große Höch-Ausstellung plant, hat man in Charlottenburg mit der schwäbischen Stadt Backnang eine Partnerschaft geschlossen. Anlaß: Auch Backnang feierte letztes Jahr 750jähriges Jubiläum. Zwei Künstler aus Backnang, den Portraitisten Oskar Kreibich und den Spät -Impressionisten Manfred Henninger, stellt man anläßlich dieser Partnerschaft hier vor. Da gab man dann als eigentliche Attraktion die Hannah-Höch-Ausstellung dazu, die die Familie Rössner aus Backnang aus ihrem Teil des Höch -Nachlasses für das Museum der Stadt Schopfheim zusammengestellt hatte.

Katrin Bettina Müller

Kunstnachlässe aus Backnang: Höch, Henninger, Kreibich in der Kleinen Orangerie, täglich 11-18 Uhr, bis 3. September.