„Produkt-Piraten“ geht es jetzt an den Kragen

Handel mit imitierten Produkten hat ungeheure Ausmaße angenommen / Bonn plant Verschärfung der gesetzlichen Regelungen / Auch GATT verhandelt  ■  Von Christine Mattauch

Berlin (taz) - Von „Szenen wie im Krimi“ berichtet Herbert Meister, Mitglied der Geschäftsführung des Markenverbandes e.V. in Wiesbaden, der Lobby der Markenhersteller. Mit Detektiven, Spitzeln und V-Leuten werde gearbeitet, um an die „Gangster“ heranzukommen, und es habe „sogar schon Anschläge gegeben“. In dem Geschäft, so der Verbandsmann, sei man eben „nicht zimperlich.“

Das Geschäft heißt „Produkt-Piraterie“. Produkt-Piraten kopieren und verkaufen marktgängige Produkte - letzteres zu einem meist wesentlich günstigeren Preis als die Original -Hersteller. Erwischt werden sie selten; nur in Ausnahmefällen gelingt der Polizei ein solcher Coup wie in Antibes. So kümmerten sich die Originalhersteller selbst darum, die unliebsamen Konkurrenten loszuwerden - mit den von Meister beschriebenen Mitteln.

Bald soll es jedoch leichter werden, den Piraten das illegale Handwerk zu legen. Ein Entwurf aus dem Bundesjustizministerium sieht vor, die bisherigen gesetzlichen Regelungen drastisch zu verschärfen. Grund für den Bonner Vorstoß: Der Handel mit imitierten Waren hat in den vergangenen Jahren ungeahnte Ausmaße angenommen.

Die Manager der Hamburger Beiersdorf AG („Nivea“) wissen ein Lied davon zu singen. Immer wieder tauchten in letzter Zeit auf dem asiatischen und auf dem arabischen Markt Cremes auf, die sich äußerlich nur unwesentlich von ihrem Starprodukt unterschieden. Die Dose blau, der Schriftzug weiß - nur hießen die Cremes „Livea“, „Nedea“ oder - wie jüngst in Jemen - „Belle Chique“.

Auch anderen Unternehmen macht der Kopier-Boom zu schaffen, beispielsweise Henkel („Persil“), Nike (Turnschuhe), Prince (Tennisschläger) und Chanel (Parfum). Und nicht immer verwenden die Produkt-Piraten so gnädig einen leicht veränderten Markennamen - vielfach wird frech die Originalbezeichnung übernommen.

Die Originalhersteller klagen über erhebliche Umsatzeinbußen. Peter Nebel, Pressesprecher der Beiersdorf AG: „Das geht bei uns in den Millionenbereich.“ Gefürchtet wird jedoch auch ein Image-Verlust des eigenen Produkts. Denn die Plagiate weisen häufig eine schlechtere Qualität auf als die Originale, und das fällt auf „echte“ Ware zurück - „die Marke fängt an zu wackeln“ (Nebel).

Die Internationale Handelskammer in Paris schätzt den Anteil des Handels mit Piratenware am Welthandel auf mittlerweile rund fünf Prozent, das sind Produkte im Wert von etwa 100 Milliarden Dollar jährlich. Es sind längst nicht mehr nur Markenartikel und Luxusgegenstände, die nachgeahmt werden. Auch Produkte von weniger bekannten Firmen und Gegenstände des täglichen Gebrauchs werden massenweise kopiert, sofern die Piraten Absatzchancen sehen. Diese Entwicklung trifft vor allem kleine und mittelständische Unternehmen.

Spitzenreiter bei der Produktion von Plagiaten sind nach Informationen des Markenverbandes Thailand, Südkorea und die Philippinen. Hier liegen die Lohnkosten weit niedriger als in der Bundesrepublik - ein Grund, weshalb die Imitatoren ihre Ware manchmal für ein Zehntel des Originalpreises anbieten können. Ein weiterer Grund: Die Kosten für die Entwicklung des Produkts werden gespart.

Auch achten die meisten Nachahmer - und hier liegt der Haken für den Verbraucher - weniger auf Sicherheit und Güte. So kamen in Großbritannien kopierte Spielzeugpuppen auf den Markt, die aus hochentzündlichem Material gefertigt waren. Imitierte Bremsbeläge versagten schon nach zehnmaligem Gebrauch; Plagiat-Arzneien für Diabetiker waren völlig wirkungslos.

Bundesjustizminister Engelhard bezeichnet die vorgesehene Verschärfung der gesetzlichen Regelungen daher als einen „wichtigen Beitrag zum Verbraucherschutz“. Engelhard will mit dem Gesetz, das noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden soll, aber auch Arbeitsplätze sichern helfen. Durch die Produkt-Piraterie gehen in der Bundesrepublik nämlich rund 50.000 Arbeitsplätze verloren, hat der Ausschuß für Außenwirtschaftsbeziehungen beim Europäischen Parlament berechnet.

Wichtiges Novum bei der geplanten Gesetzes-Änderung: Sie soll schutzübergreifend gelten. Denn bei der Produkt -Piraterie werden Schutzrechte aller Art verletzt; Patent-, Urheber- und Warenzeichenrechte ebenso wie dem Verbraucher weniger bekannte Schutzrechte wie das Geschmacksmuster, mit dem etwa Dekore und Modelle geschützt werden können.

Im einzelnen sieht der Entwurf vor, die Höchststrafe für die sogenannte „gewerbsmäßige Schutzrechtsverletzung“ von einem Jahr auf fünf Jahre zu erhöhen. Ganz neu eingeführt werden soll ein „Vernichtungsanspruch“: Ein Unternehmen, dessen Produkte imitiert worden sind, kann demnach vor dem Zivilrichter auf die Vernichtung der Ware klagen - und sogar auf die Vernichtung der zu ihrer Herstellung erforderlichen Produktionsanlagen. Der Import von Piratenware soll durch einen „Beschlagnahmeanspruch“ erschwert werden. Künftig sollen Zollbeamte Plagiat-Lieferungen in Gewahrsam nehmen können.

Vor allem im nationalen Rahmen verspricht das Gesetz Erfolge im Kampf gegen Plagiate. Engelhard räumt jedoch ein: „International - und das betrifft hauptsächlich unsere ausländischen Absatzmärkte - wird uns die Produkt-Piraterie noch länger beschäftigen.“ Denn viele Staaten, gerade Länder der Dritten Welt, haben keine oder nur unzureichende Schutzrechtsbestimmungen. Ein Produkt-Pirat, der seine Ware dort herstellt oder vertreibt, kann rechtlich nicht belangt werden.

Über dieses Problem konferieren zur Zeit Vertreter der Mitgliedsstaaten des GATT, des Internationalen Zoll- und Handelsabkommens. Ziel ist der Beschluß von multilateralen Handelsregeln für geschützte Produkte. Gerade Länder aus der Dritten Welt sperren sich jedoch gegen ein entsprechendes Abkommen. Das hat zum einen praktische Gründe: Einige Staaten besitzen für die Umsetzung eines solchen Abkommens nicht die erforderlichen Zoll- und Gerichtskapazitäten.

Zum anderen sehen die zum Teil hochverschuldeten Länder Exportmöglichkeiten gefährdet. Und nicht zuletzt wird auf die teilweise katastrophale Versorgungslage verwiesen: So brauche man dringend Medikamente, erschwinglich seien aber nur die billigen Kopien. Im Bundeswirtschaftsministerium wird dieses „moralische Argument“ freilich nicht akzeptiert. Schließlich handele es sich bei der Schutzrechtsverletzung „um so etwas wie Diebstahl“.

Bis 1990 sollen die Beratungen in Genf abgeschlossen sein. Im Wirtschaftsministerium wird allerdings bereits damit gerechnet, daß das dann ausgehandelte Abkommen nicht von allen GATT-Mitgliedern unterzeichnet wird.