Dreimal ist Breminaler Recht

■ BREMINALE Musik: Von der „Schleuse“ übers „Kraftwerk“ rein ins „Blau ab“, um die drei Gruppen „Huellas“, „Azimut“ und „Swinging Starlights“ am Mittwochabend allesamt mitzunehmen

Sechs Männer und zwei Frauen eröffneten kurz nach acht in dem Zelt, das da „Schleuse“ heißt und mit seinem roten, besternten Dach das schönste auf der Wiese ist, den musikalischen Teil der diesjährigen Breminale.

„Huellas“ ist eine Gruppe lateinamerikanischer Musiker, die in Bremen leben. Ihr Programm besteht aus einer Mischung populärer Themen ihres Kontinents und leistet sich vereinzelte Aus

flüge zum westlichen Vorposten der Alten Welt: Die Musik Teneriffas entpuppt sich beziehungsreich als Mischung aus mittelamerikanischem Salsa und spanischer Schlagerschnulze.

Am besten waren „Huellas“ immer dann, wenn es mit flottem, echtem Salsa mehrstimmig zur Sache ging - der Sängerin nervig hohe Stimme erwies sich solo bei der mehr getragenen kolumbianischen Hochlandmusik oft nur

mehr als nervig. Sehr schön allerdings durchweg die häufigen Unisono-Passagen zwischen Saxophonistin und Geiger: Wenn die Bläserin zur Querflöte griff, gab es in leichtem, harmonischem Jazz die musikalisch schönsten Passagen.

Vor der Bühne wurde ordentlich geschwoft - sichtlich zur Freude der Musiker. Zwischendurch gab's ein paar Klassiker das „Girl from Ipanema“ sollte frau vielleicht nicht singen, zumindest nicht in Anlehnung an Astrud Gilberto -, und bei „Guantanamera“ mußten wir dann die Szene wechseln, hin zu dem Zelt, das da martialisch „Kraftwerk“ heißt und Marke Bierzelt Freimarkt ist, mit Plastik-Fachwerk in Front und grau in grau. Davor jedoch, da stand was Undefinierbares, ziemlich Großes, Rundes, sowas wie eine Satellit-Antenne, geflochten aus lauter Bambus. Eingeweihte wußten zu berichten, daß dies gewissermaßen das Foyer der Gruppe „Azimut“ aus Frankreich sei. Drinnen gab es noch Erstaunlicheres zu sehen.

Und in der Tat: Der Bühnenaufbau der vier von „Azimut“ ist ein optischer Eindruck der ungewöhnlichen Art: In drei Etagen türmen sich Bambusgeflechte und verknotete Holzgestänge in chaotischer Unordnung - beinahe bis zur schwarz verkleideten Zeltspitze hoch. Erst bei genauerem Hinsehen erweist sich das hölzerne Gewirr als Verbund von scheinbar primitiv zusammengezimmerten xylophonischen Instrumenten. Ein doppelmannshohes, im Bühnenhintergrund senkrecht aufgebautes Gestell bildet zusammen mit einem verschnürten Trommelsatz das Zentrum dieses urtümlich anmutenden Ensembles.

Fast ist man ein wenig enttäuscht, als die vier Herren ihre ungetüme Konstruktion betreten und erste Klänge vertrauter Keyboards mit Bass-Programmings zu hören sind. Doch die Orgel dient zunächst der esoterischen Klangmalerei, Xylophone und Trommeln legen darüber archaische Muster einer dumpf-hypnotischen Rhythmik und einer oft nur angedeuteten, pentatonisch gehaltenen Melodie des vertikalen Xylophons oder einer überaus

seltsamen, mechanisch in Vibratoklänge versetzten Bambuskreuzung aus Vibraphon und Orgel.

Das alles wirkt zunächst erheblich unspektakulärer, als Bühnenaufbau und Vorschußlorbeeren erwarten ließen. „Lauter!“, schrie einer gleich zu Beginn von hinten, und „leiser!“ schrie einer von vorn nach hinten zurück. Die nur über Mikro verstärkten Holzinstrumente haben nur geringe Klangfülle, es braucht Konzentration und Akustik, um die von „Azimut“ zum Teil auf atemberaubende Weise vermittelte Erfahrung zu erleben, daß Musik letztlich nie was anderes war als das in Schwingung Versetzen von Körpern unterschiedlicher Größe und unterschiedlicher Beschaffenheit.

Doch das Geschnatter und Gemache derer am Tresen und ganz hinten, das ständige Raus und Rein von Enttäuschten Nur-mal -gucken-Wollern - es war die falsche Atmosphäre für die Gruppe - wie im übrigen auch für Christian Kaiser, der zuvor zu einer Art Pausenfüller degradiert wurde - , doch wird dieses Problem für die Macher der Breminale wohl kaum zu lösen sein. Schließlich kann man kaum vor jedem Zelt gezielt Eintritt kassieren, um die Nur-mal-Gucker au

ßen vor zu halten.

Nach einer guten halben Stunde wurden „Azimut“ dann weniger anstrengend: Die Keyboards übernahmen die Melodieführung, die Muster wurden eingängiger und die Rhythmen gingen in Richtung Ethno-Pop. Die vier von „Azimut“ wissen offenbar, daß ein nicht geringer Teil ihres Publikums mit eben jener Welle in ihre Konzerte geschwemmt wird.

Szenenwechsel, letzter. Wer erklärt mir, warum das kleinste Zelt „Blau ab“ heißt? Blow up? Blau (es ist das letzte vor'm Ausgang) und ab? Egal. Evelyn Gramel (Gesang), Andreas Proff (Saxophon) und Jens Bommert machten da zu später Stunde durchaus passend auf „Swinging Starlights“, auf Ballads & Standards, auf Barmusik und Ju-Ess-Ey. Sie macht das nach wie vor toll, die Evelyn, mit ihren Standards wie „Paper Moon“ und „Moondance“ und den Ballads, die auch längst Standards sind. Ein Spaß-Terzett, jeder profiliert sich. Ein paar Dutzend im Publikum - aber die wissen, warum sie da sitzen. Schön, auch nach wie vor, vor allem Andreas mit seinen Tuten, den ich mag, seit er mal den Hardy Wrieden so schön aufgewertet hat.

Rainer Köster