NEULICH BEI DEALER HARRI

■ Ein Hörspiel in der Galerie am Chamissoplatz

Berlin 1984, vier Treppen, es klingelt bei Harri. Ein Bekannter tritt atemlos ein. Dann klingelt es noch mal und wieder und wieder, und alle wollen sie nur das eine: Dope kaufen, denn Harri hat den besten Shit, nur vom Feinsten oder Spitzendope, wie bis zum Überdruß betont wird; womit wir beim Thema wären: Dem Überdruß, der Zivilisationskrankheit Nummer Eins.

Das ist der Impuls, der sie stammeln läßt, pathetisch vom Vaterkomplex, affektiert von der Million durch die Karriere als Popsternchen, beseelt von der Aussicht, die Amtsstube zu verlassen, um in Thailand ein freier Mann zu sein, gelangweilt vom letzten Kongreß über das Ende der Zivilisation, hysterisch von der Abscheu gegen die Verpackungskultur der Warenwelt oder dem Wechsel vom Jugendfunk in die Kulturredaktion.

So stammeln sie vor sich hin, reden aneinander vorbei, giften sich an, während Harri meint: „Ihr seid heute ganz schön anstrengend“, und sorgfältig abwiegt - keine kleinen Mengen, ein Hunni ist das mindeste, denn hier sitzen keine pubertären Provinzkiffer beisammen und hören AC/DC, sondern die Berliner Szene um 30, eben fertig studiert, schon lange beim Radio, immer noch kein Popstar, seit 15 Jahren beamtet, mit dem Herzen immer noch bei Jimi Hendrix in der Deutschlandhalle, und zieht Zwischenbilanz über die Fahnenstange.

„Wer sind wir, wo kommen wir her, was ist aus uns geworden, wo gehen wir hin?“ - „Donnerwetter!“ - „Alle Achtung!“ „Hut ab!“ - Genau!“

Die einen kommen, die ersten gehen, was bleibt, ist das Geschäft und die Frage, was wahr ist im Sprachmüll. Das Ganze ist ein Hörspiel, das man abschalten würde, hörte man es zufällig im Radio, weil man solch metaphysischen Small -Talk oft genug selber praktiziert, beim Warten auf den Bus, den Dope oder Godot.

Wenn man aber extra zu einem Hörspielabend geht in die Galerie am Chamissoplatz und das seltene Vergnügen hat, mit einer knappen Hundertschaft um ein Stereo-Kassetten -Abspielgerät auf einer Bühne aus Backstein zu sitzen, dann hört man gerne zu und ist angenehm überrascht, weil das Stück besser ist, als es sein gekünstelter Titel „Mit Dreißig wechselst Du den Regenmantel“ erwarten ließ.

Und daß ein Hörspiel in 100 verschiedenen Köpfen zu 100 Hörspielen wird, wie der Autor Bodo Morshäuser als Behauptung in den Raum stellt, bestätigt sich beim anschließenden Gespräch: Die einen sind schon 30 und fragen sich, ob sie was verpaßt haben, weil es ihnen anders erging als den traurigen Gestalten bei Harri, oder ob da nur das Lebensgefühl einer Randgruppe thematisiert sei. Wie ist es eigentlich - soll man Kinder daran hindern, Drogenerfahrungen zu machen, und ist das Stück nicht deshalb eine Werbung für Haschisch, weil das Problem gar nicht angesprochen wird? Oder fehlt in der Runde nicht einfach die positive Figur, die weiß, wo es lang geht und auch den anderen einen möglichen Sinn vermitteln kann.

fms