ALTERNATIVE AM ENDE

■ „Wendel“ oder wie war das im Steinplatz

Verächtlich, weil sie doch gescheitert waren, bewundernd, weil sie zumindest die historische Chance hatten, eben wie zornige Söhne: So sahen wir Tunix-Siebziger immer die Alt -68er, die zwar auch anfänglich von freier Liebe geredet hatten, aber die Freiheit war immer bloß die zweigeschlechtliche. Und wenn erst auch die Jungens miteinander schlafen, dann muß die Revolution wirklich vor der Tür stehen. Andere konkrete Schritte zur Erlangung derselben taten sich leider nicht auf, also wurde der Weg über die private Befreiung inklusive Homo-Sex probiert. Richtige Homos waren da gleich skeptisch, ob sich da nicht die Revolution mal wieder auf dem Knüppelpfad befand, aber zugestandenermaßen bedeutete es einfach eine Bereicherung des Potentials. Außerdem war es ja für die gute Sache, an die wir glaubten.

Schief ist es gegangen - bei uns, bei ihnen, in Berlin und in Zürich, so schief, daß die 68er müde winken konnten. Wendel hieß der eine: so ein Sunny-Softie-Typ, der natürlich schon damals nicht gemerkt hat, daß es David wesentlich ernster meinte und Wendels Kapriolen mit Frauen ätzend fand, ihm bloß der Mut fehlte, das auch mal zu sagen. Es wurde zwar viel geredet zu diesen besten Zeiten der Zürcher Alternativszene, aber meistens nur über Pläne und nicht über Probleme. Das fällt kaum auf, solange es gut geht: Wir schweben auf der rosaroten Wolke, und die wird so gut dagestellt, wie wir sie auch einst nur mit der Flasche Chianti sehen konnten - einschließlich des erbauenden Plakates aus Bertoluccis „1900“. Die Revolution - und sei es nur die ganz private - kommt ins Stocken, die Wolke verfinstert sich, Wendel setzt sich drauf und schon ist er in Amerika, währenddessen David im alternativ -zugrundegehenden Zürich ziemlich allein im Regen steht. Die Zeit mit Wendel, das war seine große Zeit, und die kommt nicht wieder. Dafür kommt Wendel wieder - auf Besuch und zum Verkauf eines geerbten Ferienhauses. Spontaneität - wir erinnern uns gut wegen des „e“ - auf einmal ist sie weg: David lauert Wendel auf, will wenigstens jetzt etwas erfahren über das Scheitern der Träume und natürlich der Liebe. Aber Wendel ist jetzt amerikanisch cool: Von ihm kommt keine Erklärung, sondern verlegenes Stammeln: „Forget it!“ Er trägt Krawatte und ist verheiratet. Macht nichts, denn inzwischen zahlt man in Zürich auch die Straßenbahn. Ihr Wiedersehen ist eigentlich ätzend, denn alles, was uns in den Rückblenden als die glückliche Zeit gezeigt wurde, wird schleunigst relativiert: Klar gibt es zwischen ihnen noch die alte Vertrautheit, aber sie wird nur noch auf der Ebene der Karikatur sichtbar. Für David zog ein Prinz in die Fremde, und zurück kommt ein Frosch - kalt und glipschig. Für Wendel schafft die Flucht aus der Vergangenheit seine Distanz. So verbringen sie einen Tag und eine Nacht miteinander und gegeneinander - es passiert nichts mehr nicht zwischen ihnen und nicht in Zürich. Sie können - so gern sie es wollten - auf keine Bewegung mehr zurückgreifen, um sich selber aus dem Weg zu gehen. Die neuerliche Konfrontation ist hart, aber nicht gnadenlos: In dieser Szene erschießt man sich nicht, man wirft den anderen ins Wasser. Die Scheidung findet am Zürisee statt. David wird weiter den alten Traum bewahren, Wendel weiter verdrängen.

„Wendel“ - der Film - ist ein sehr gut gelungenes Portrait aus dieser fernen Zeit, weil er sehr gut trennen kann: Er zeigt ihre Klischees, ohne die beiden Hauptdarsteller in sie einzubinden. Sie sind beide typisch für ihre Zeit, trotzdem haben sie nichts von Stereotypen: Ihr Verhalten ist zwar durch ihre Sozialisation schwer gestört, aber sie bleiben immer Individuen, denen man ihre Geschichte einfach glaubt. Gott sei Dank verzichtet der Film dabei auf Glorifizierungen, ist eher traurig, ohne dabei mitleidig zu werden. Cool - wie wir heute sind - konstatiert er die Unmöglichkeiten und läßt sie noch einmal aufleben. Vorbei ist vorbei, wenn auch nicht unbedingt vergessen: Wir wollten alles und sofort, und wenn daraus jetzt ein Film geworden ist, dann ist das zumindest viel mehr als nichts.

Lutz Ehrlich

„Wendel“ von Christoph Schaub, täglich um 21 Uhr im Kino am Steinplatz.