Bilder von Amerika

■ Interviews über das Amerika-Bild deutscher Schriftsteller

Für die Generation von Hans Magnus Enzensberger, dem ehemaligen Mitherausgeber von „Kursbuch“ (1965-75) und „TransAtlantik“ (1980-82), waren die USA noch ein utopischer Ort: „Ich habe die Ankunft der Amerikaner 1945 als befreiendes Ereignis erlebt. Das hatte dann zur Folge, daß nicht nur in das gedachte, literarische Amerika, sondern auch in das wirkliche Amerika große Erwartungen gesetzt wurden.“ Spätestens mit dem amerikanischen Vietnam-Szenario kam dann jedoch die Ernüchterung: Enzensberger engagierte sich politisch und literarisch in der 68er-Bewegung, erklärte Henry Kissinger öffentlich zum Kriegsverbrecher und lehnte schließlich 1968 ein amerikanisches Stipendium der Wesleyan University demonstrativ ab.

Diese von Enzensberger geäußerte Ambivalenz von Faszination und Ernüchterung, neugieriger Annäherung und kritischem Abstand durchzieht alle Gespräche, die Heinz D.Osterle in seinem Interviewband über das Amerika-Bild bekannter deutscher Schriftsteller zusammengetragen hat. Eine Gesprächsstudie, die besonders in diesen Wochen anläßlich der Erinnerung an die nun 20 Jahre vergangene Studentenrevolte aufschlußreiche und sehr persönliche Schlaglichter auf die Rolle Amerikas für deutsche Autoren wirft.

Neben Günter Grass oder Rolf Hochhuth kommt auch Martin Walser zu Wort, dessen Romane „Halbzeit“ (1960) und „Brandung“ (1985) er selber als literarische Nachlesen seiner häufigen Amerika-Aufenthalte bezeichnet. In dem Interview mit Walser wird das von Anziehung und Ent -täuschung bestimmte Verhältnis deutscher Schriftsteller zu der Großmacht USA sehr deutlich: „Ich wollte die deutsche Treue zum offiziellen, kriegführenden Amerika diffamieren. Ich bin nicht mit der Gruppe 47 nach Princeton gefahren, weil ich fand, es sei grotesk, in einem kriegführenden Land einander Gedichte und Prosa vorzulesen.“ Wie Grass oder Enzensberger engagierte auch er sich Mitte der sechziger Jahre gegen die amerikanische Intervention in Vietnam und näherte sich neomarxistischen Überlegungen an - dennoch weist Walser die Bewertung seines Romans „Brandung“ als gesellschaftskritisches Werk zurück: „Es wäre auf jeden Fall absurd, wollte ein Schriftsteller über ein Land, in dem er sich sehr wohl gefühlt hat, einen Roman schreiben, in dem dieses Land kritisiert wird.“

Spätestens hier zeigt sich, daß zwischen dem Geschichte erzählenden Autor und der interviewten Person natürlich Brüche und Widersprüche in der Amerika-Erfahrung und deren Wiedergabe zu finden sind, ja sogar bestehen müssen; eine Tatsache, die Osterle in seinen Interviews oftmals verdrängen möchte. Als Titel für das Gespräch mit Osterle schlägt Walser dann auch ein mehrdeutiges „Wo viel Schatten ist, ist auch viel Licht. Eindrücke eines verhinderten Einwanderers“ vor: „Ich weiß nur, daß ich sehr dankbar bin für die Möglichkeit, immer wieder ein paar Monate von hier wegzukommen.“ Man bekommt den Verdacht, daß die USA nicht selten den Charakter eines eskapistischen fast-food-Ziels erhalten, wo der in (und an) der Alten Welt leidende, etablierte Schriftsteller sich Ablenkung erhoft.

In dem Gespräch mit Uwe Johnson, das ein Jahr vor dessen überraschendem Tod in England geführt wurde, verwischen sich die Grenzen zwischen persönlichem Erleben und schriftstellerischem Ausdruck des Amerika-Bildes fast völlig. Gesine Cresspahls Erlebnisse im Alltag von New York in Johnsons Roman „Jahrestage“ (1970-83) sind für ihn interessanter, amerikanischer als seine eigenen: „Ja, da lebte ich schon ein ganzes Jahr in der Stadt. Jedenfalls ging es mir da auf, daß ihr Leben in Manhattan viel erzählungswürdiger sei ... als das, was ich in dieser Stadt erlebte.“ Die vieldiskutierte deutsche und amerikanische Ebene in „Jahrestage“, die eingestreuten Nachrichtenzitate aus der 'NewYork Times‘, die frappierende Parallelität der Zeitstruktur des Romans (Gesine fliegt am 20.August 1968 nach Prag) mit dem Einmarsch der russischen Truppen in die CSSR oder dem Mord an Martin Luther King - der Schriftsteller will trotz allem nur Geschichtenerzähler, Sammler der privaten Erfahrungen seiner Hauptfigur sein. Die große Politik stört ihn eher: „Das ist von der Wirklichkeit in das Buch hineingezogen worden... Habe ich das alles gewollt? Eben nicht. Das ist mir in den Plan hineingetan worden.“ Die postmodernen Literaturauguren werden sich beim Lesen dieser Sätze wohl gegenseitig vor Freude auf die Schulter klopfen...

Osterles Fragen bleiben unbeantwortet, sobald er Johnson als Privatmann anzusprechen sucht: Amerika ist das Land in den Augen der Cresspahl, insbesondere dann, wenn sie als Frau New York erlebt und etwa der Schuhverkäufer, während er sie bedient, sich von ihr sexuell erregt fühlt: „Das ist ihr passiert, kann ihr passieren, aber nie mir.“ Amerika präsentiert sich bei Johnson, wie auch bei den meisten anderen Autoren dieses Interviewbandes, als eine nicht fixierbare Mischung aus unter die Haut gehendem eigenen Erleben und erzählerischem Spiel in einer Haltung von unbestimmter Distanz: „Es hält sich alles in ihrem Lebensbereich auf, einschließlich des amerikanischen Alltags, des Krieges in Vietnam und der Vorgänge in der Tschechoslowakei.“ Dies betrifft ebenso Gesine Cresspahls Stellungnahme in „Jahrestage“, die sie zu dem von Enzensberger im Januar 1968 über die USA veröffentlichten Brief in ihrer Eigenschaft als Romanfigur abgibt. Amerika ist so zugleich Teil von zeitgleicher Geschichte und (sicherlich) zeitlosen Geschichten. Das Land verbleibt im Unschärfebereich der eben literarischen und nicht privaten Annäherung, sogar politische Äußerungen von lebenden Schriftstellerkollegen verwandeln sich in Meinungen der eigenen literarischen Figur und deren Bewertung.

Neben den genannten Autoren enthält der Band Gespräche mit Erich Fried, Bernt Engelmann, Günter Kunert, Angelika Mechtel, Ulrich Pothast, Kuno Raeber und Peter Schütt.

Bernd Rasche

Heinz D.Osterle, „Bilder von Amerika. Gespräche mit deutschen Schriftstellern“, Münster, Englisch Amerikanische Studien (EAST), 1987, 24,80Mark