Pinochet geht auf Stimmenfang

■ Chiles Diktator spricht von „Beginn der Demokratie“ Bei Protesten wurden drei Menschen getötet

Santiago (ap/afp) - Chiles Diktator Pinochet hat am Mittwoch abend, einen Tag nach seiner Nominierung zum Einheitskandidaten für das Präsidentplebiszit im Oktober, den Beginn einer neuen Demokratie verkündet und zur Versöhnung aufgerufen. Bei den heftigen Protesten gegen die Nominierung Pinochets waren zuvor am Dienstag und Mittwoch drei Menschen getötet worden. Ein 14jähriger und ein 15jähriger Junge erlagen Schußverletzungen. Bei massiven Polizeieinsätzen wurden mindestens 23 Menschen zum Teil schwer verletzt und über 1.000 Demonstranten verhaftet. In einer über das staatliche Fernsehen und Rundfunk übertragenen Rede forderte Pinochet die Opposition - mit Ausnahme der Kommunisten - auf, „an der neuen Demokratie mitzuarbeiten“.

Als Hauptmerkmale seines „Demokratieentwurfs“ hob der Diktator, der sich um eine weitere achtjährige Amtszeit bewirbt, den Wirtschaftsfortschritt und den Antikommunismus hervor.

Die Demokratie brauche die Mitarbeit aller Chilenen, sagte Pinochet während der 20minütigen ersten Ansprache seines Wahlkampfs. Er wolle insbesondere jene einladen, die seinem Projekt entgegenstünden: „Unsere Demokratie hat einen Platz für jeden. Kritik und legitimer Pluralismus werden sie bereichern und verbessern.“ Unter der Herrschaft Pinochets, der 1973 gegen den demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende putschte, wurden tausende Oppositionelle inhaftiert, außer Landes gejagt, gefoltert und ermordet.

Während seiner Ansprache war der General und Heereschef, der gemeinhin in Uniform auftritt, in einen dunklen Anzug gekleidet. Er saß hinter einem Schreibtisch, auf dem ein großes Foto seiner Frau, die chilenische Flagge auf der einen und ein Personalcomputer auf der anderen Seite standen. Stil und Inhalt der Ansprache Pinochets wiesen nach Einschätzung von Beobachtern Fortsetzung auf Seite 6

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darauf hin, daß er in den Wochen vor der Volksabstimmung am 5.Oktober versöhnlich aufzutreten gedenkt. Oppositionelle pflegte der Staatschef bisher als Verräter, Feiglinge und Ratten zu beschimpfen. In Santiago lieferten sich währenddessen Anhänger und Gegner des Generals einander Straßenschlachten. Einer Radiomeldung zufolge wurden dabei weitere zehn Menschen verletzt. Die Polizei habe 30 Demonstranten festgenommen. Die Polizei sprach von 19 weiteren Festnahmen bei zwei anderen Demonstrationen oppositioneller Studenten.

Innenminister Sergio Fernandez gab am Mittwoch der Opposition die Schuld an den Auseinandersetzungen von Dienstag und Mittwoch: „Wieder einmal haben extremistische Gruppen Tod und Furcht gesät. Die für diese Handlungen Verantwortlichen sind klar mit der 'Nein'-Stimme zu identifizieren.“ Damit meinte er die 16 in der NO-Kampagne zusammengeschlossenen Oppositionsparteien, die aufrufen, am 5.Oktober mit „Nein“ zu stimmem.

Der stellvertretende Vorsitzende der oppositionellen Christlich-Demokratischen Partei, Andres Zaldivac, widersprach der Darstellung des Innenministers. Er erklärte: „Die einzige Gewalt zeigte sich dort, wo es Unterdrückung von seiten der Polizei gab.“ Das Oppositionsbündnis der 16 Parteien unterzeichnete am Mittwoch ein Abkommen, wonach für den Fall einer Niederlage Pinochets bei der Volksbefragung, Verhandlungen mit dem Militär über eine Änderung der Verfassung von 1980 anzustreben sind. Die Verfassung sichert den Streitkräften ausgedehnte politische Mitspracherechte. Pinochet stellte allgemeine Wahlen für 1990 in Aussicht, falls er bei der Volksabstimmung scheitere.