Fischlein reck dich

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Die Hoffnung, nach diesem Sommer wäre die Radioaktivität endlich gegessen, hat sich nicht erfüllt. Weniger weil die Lebensmittelindustrie nun ihr verstrahltes Zeug auspackt, sondern als direkte Tschernobyl-Folge. Bei Beeren, Pilzen, Nüssen, Wild bleibt alles beim Alten. Bei Binnenseeraubfischen summieren sich die Werte, weil die Fische verstrahlte Nahrung fressen. So steigen die Werte bei Forellen aus einem See im Distrikt Gälveborg, Mittelschweden, alle fünf Monate um 1.000 Bq. Im August wurden für Forelle 10.000 Bq, für Barsch 14.800 Bq und für Hecht 11.400 Bq ermittelt. Die ersten schwedischen Rehe der Jagdsaison starben umsonst. Mit 20.000 Bq kommen sie nicht in die Bratpfanne. Im Vergleich zu den Tieren sind die Menschen Mittelschwedens relativ wenig belastet. 8.000 Bq ergab die Ganzkörper-Messung eines Bauern 1986. Entgegen damaliger Beschwichtigungen hat sich daran auch zweieinhalb Jahre nach der Katastrophe nichts geändert. Das ist zehnmal so hoch wie die maximale Belastung in Berlin. Durchschnittlich wurden im Mai '88 bei Berlinerinnen 180 Bq, bei Berlinern 400 Bq gemessen. Aufmerksame Becquerelzähler haben erheblich geringere Werte: weniger als 100 Bq im Leib, davon sind 50 Bq Altlasten aus der Zeit der Atombombentests. Na, bitte!

Wer keine Fische aus der sterbenden Nordsee mag, muß mit großen regionalen Unterschieden bei der radioaktiven Belastung rechnen.

Karpfen mit Milchner, Oberpfalz2.2 Bq

Schleie, Oberpfalz2.7 Bq

Schleie, Berlin, durchschn. 20 Bq

max. 44 Bq

Lachsforelle, Eching4.6 Bq

Forelle, Berlin, durchsch. 2.9 Bq

max. 5.6 Bq

Forelle, Teich südl.Chiemgau6 Bq

Renken, Chiemsee26.6 Bq

Aitel, Nebenfluß/Isar15.3 Bq

Fische aus dem Wörthsee401 Bq

Barschaus dem Titisee786 Bq

Barsch, Berlin93.8 Bq

Hecht, Berlin36.2 Bq

Zander, Dänemark27 Bq

Zander, Berlin, durchsch. 49.8 Bq

max. 79 Bq

Wer noch mehr für die Nordsee tun möchte, verzichtet nicht nur auf Fisch, sondern auf alle Produkte, die Titan-Dioxid (Weißpigment) enthalten: weißes Papier in Form von Klopapier, Windeln, Taschen- und Küchentücher, Schreibpapier (oder die Unmengen von Druckerpapier hier in der taz!! d. s.in) usw. Weißmacher in Zahnpasta und Waschpulver, weiße Tabletten sind durch Tropfen ersetzbar. Nur „Bio„-Farben und Lacke aus dem alternativen Handel wie Livos, Athropos, Auro usw. verursachen keine Dünnsäure. Also ganz einfach.

Vor stark belasteten Wildpilzen wird aus München gewarnt. Bei bayerischen Maronenröhrlingen wurden 2.820 Bq gemessen. Im Handel gekaufte polnische Pfifferlinge enthielten 118 Bq. Die hohe Radioaktivität von Röhrenpilzen, die stärker als Steinpilze belastet sind, wird mit der größeren Speicherkapazität für Cäsium erklärt, da diese Pilze einen natürlich hohen Kalium-Haushalt hätten und beide Stoffe ähnlich seien. Das Münchner Umweltinstitut verweist darauf, daß die Röhrenpilze ausgedehnte Myzelien - wurzelähnliche Ausläufer der Pilze im Boden - haben.

Im täglichen Kaffee schwimmt eine grenzwärtige Portion Dichlormethan, natürlich krebserregend, aber laut Bundesgesundheitsamt ein unverdächtiges Mittel zur Verstärkung des Koffeingehalts.

386 Produkte ohne Treibgas (Ozonkiller) umfaßt eine Liste des „item Institutes für Markt- und Verbraucherforschung e.V.“ aus Köln. Die Zusammenstellung ist das Ergebnis einer Umfrage bei 608 Herstellern, Vertriebs- und Handelsfirmen und Sprayabfüllbetrieben im Auftrag der Zeitschrift 'Natur‘. Aus den Bereichen Autopflege, Möbel- und Lederpflege, Putzmittel, Deodorants u.a.m. werden unterschiedlichste Produkte genannt. Auch wird verraten, ob die Behältnisse nachfüllbar sind oder nicht. Die Liste kann gegen zwei Mark in Briefmarken oder Münzen (festkleben) und einem mit 80 Pf. frankierten Rückumschlag bei item, Neuenhöfer Allee 55, 5000 Köln 1 angefordert werden. Quellen: Strahlentelex Berlin, Eltern für unbelastete Nahrung Kiel, Umweltinstitut München e.V.

Werte: Cäsium Becquerel pro Kilogramm.