Repression von Wyhl bis Wackersdorf

■ Enno Brands Buch „Staatsgewalt“ liefert eine Chronologie der politischen Unterdrückung / Vom §129a bis zum neuen Personalausweis wird kein Bereich ausgelassen / Viele Einzelfakten, wenig Analyse

Mit der Repression nimmt auch die Zahl der Veröffentlichungen zu diesem Thema zu. Die Privatarchive quellen über: Broschüren und Flugblätter über Brokdorfdemonstrationen, über den Widerstand in Wackersdorf, Knüppelorgien in Kreuzberg, Tränengasangriffe an der Startbahn, Verhaftungen im Rhein-Main-Gebiet. Auch BesucherInnen verlieren zwischen den Regalen gutsortierter linker Buchläden schnell den Überblick.

Enno Brand, Mitarbeiter der 'Atom‘, hat sich, unterstützt von der Göttinger Redaktionsgruppe der Zeitung, seine eigene Repressionsmaterialien-Sammlung vorgenommen, sortiert, gewichtet und ausgewählt - und ein Buch geschrieben: Staatsgewalt - Politische Unterdrückung und Innere Sicherheit in der Bundesrepublik. Von der Geschichte des §129a über den neuen Personalausweis, die alten, mittleren und geplanten neuen Geheimdienst/Polizei-Gesetze, Struktur des Polizeiapparats und Anzahl der Bereitschaftspolizisten hat er kein Thema ausgelassen. Eine „Chronologie der politischen Unterdrückung“, beginnend mit den Kämpfen gegen das Atomkraftwerk in Wyhl und endend mit Betroffenenberichten über die Verhaftungen nach den tödlichen Schüssen an der Startbahn-West, rundet den 360 Seiten Band ab.

„Wir sind weder Historiker, Juristen oder sonstwie wissenschaftlich geprägt, noch sind wir gelernte Journalisten“, werden in der Einleitung Erwartungen relativiert. Und damit sind die Grenzen des Buches auch tatsächlich abgesteckt: Es ist ein nützliches Handbuch und Nachschlagewerk (wieviel Verurteilungen nach §129a gab es, wieviele Bereitschaftspolizisten, wann war die erste Brokdorf-Demo) aus dem Widerstand, wahrscheinlich für den Widerstand - es ist nicht seine Geschichte und auch nicht die seiner Unterdrückung. Es werden zahlreiche Fakten über Polizei-Einsätze und politische Konzepte der präventiven Bekämpfung von Unruhen zusammengetragen und sorgfältig belegt - auf den Begriff werden sie nicht gebracht: Brand ging es augenscheinlich mehr um die umfassende Darstellung als um die Analyse.

Zwar werden Einschätzungen vermittelt - der §129a als Ermittlungsparagraph gegen Bewegungen, Vermummungsverbot als ein Schritt zur „optischen Totalerfassung“, SPUDOK-Dateien zur Erstellung von Bewegungsbildern - diese reichen aber über das bereits oft Diskutierte, in etlichen Broschüren Wiedergegebene nicht hinaus. Die einzelnen Repressionsbereiche werden nicht zusammen bewertet, in Relation zueinander gebracht oder im historischen Prozeß miteinander verglichen: Entwicklungen in der Polizeitaktik gegen Großdemonstrationen, das Zusammenspiel von Repression und Dialog, die Entsolidarisierungsstrategien und ihre konkrete Ausarbeitung bleiben so von der Fülle des Materials verdeckt.

Brand hat, und das erscheint mir der wichtigste Mangel seiner Arbeit zu sein, auch den AntiRepressionsbereich explizit ausgeklammert: Damit wird der lin ken Anti-Repressions-Diskussion aber die Dynamik genommen, Repression wird als etwas Statisches, staatlicherseits Beschlossenes, Unveränderliches beschrieben. Ohne Analyse der Interventionen und Gegenstrategien sind aber auch die Maßnahmen der Herrschenden oft nicht zu erklären, geschweigen denn zu bewerten. Und ohne die Benennung auch von Gegenaktionen reduziert sich der politische Gebrauchswert eines Buches über „Politische Unterdrückung und Innere Sicherheit“ erheblich.

Dennoch: Wer den Überblick auch über die rechtliche Entwicklung der letzten Jahre (bis Mitte 1988) behalten oder bekommen und viele Zahlen und Materialien komprimiert zur Hand haben will, ist mit dem übersichtlich gegliederten, mit einem guten Quellenteil versehenen Buch gut bedient.

Oliver Tolmein

Enno Brand, „Staatsgewalt - Politische Verfolgung und Innere Sicherheit in der BRD“, Verlag Die Werkstatt, Göttingen, 360 Seiten, 28Mark