„Noch nie stand die Bevölkerung so hinter uns“

Der südkoreanische Studentenführer Kim Young-Soo lebt im Untergrund / Die Polizei hat auf seinen Kopf 13.000 Mark ausgesetzt / Er kämpft mit seinen Kommilitonen für „wirkliche Demokratie“ und Wiedervereinigung mit Nordkorea  ■  Aus Seoul Jürgen Kremb

Sein Gesicht kennt jeder in Südkorea, doch die Polizei findet ihn nicht. Kim Young-Soo, wie ich ihn nennen soll, ist untergetaucht. Er lebt im studentischen Untergrund von Südkoreas Zehn-Millionen-Einwohner-Metropole Seoul. Er soll, so die Polizei, zum internen Führungskader der Studentenschaft des Landes gehören. Seit Monaten wird nach Kim auf Fahndungsplakaten gesucht, die in U-Bahnen, Polizeistationen und öffentlichen Gebäuden aushängen. Auf seinen Kopf sind fünf Millionen Won ausgesetzt, umgerechnet mehr als 13.000 Mark. Eine Menge Geld im Land der Morgenstille, wo selbst ein Hochschulprofessor nicht mehr als 1.000 Mark im Monat verdient.

„Nein, was wir in den letzten sechs Monaten erlebt haben“, sagt er auf meine Frage, „ist keine Liberalisierung und auch keine Demokratie.“ Nach Meinung der Studenten ist es lediglich der Versuch der Regierung und der Militärs, die Opposition und die Dissidentenkräfte auseinanderzutreiben. „Ich habe miterlebt, wie die Wahlen von Roh Dae-Woh gefälscht wurden, wie immer wieder Oppositionelle in den letzten Wochen mit falschen Vorwürfen ins Gefängnis kamen. Präsident Roh hat bisher keine seiner Versprechungen nach Demokratie wahr gemacht.“

Obwohl dem Studentenführer stets die Polizei auf den Fersen ist, scheint er den Kontakt zur Bewegung nicht verloren zu haben. Ein normales Leben hat der einstige Student an einer Eliteuniversität schon lange aufgegeben. Tagsüber muß sich Kim versteckt halten, Sitzungen mit anderen Mitgliedern der Bewegung gibt es nur an geheim gehaltenen Orten. Trotz drohender Repressalien für Kontaktpersonen ist die Solidarität mit Kim noch immer groß. Er wird mit Essen und dem Nötigsten zum Leben versorgt. Ein- bis zweimal in der Woche wechselt Kim sein Versteck. Denn die koreanische Polizei erscheint überall, und sie arbeitet effektiv.

„Sie suchen mich vor allem wegen vier Vergehen“, sagt er und reibt sich dabei nervös die linke Hand über der rechten Faust. Anfang des Jahres soll Kim zusammen mit anderen Studentenführern das gemeinsame Treffen von nord- und südkoreanischen Kommilitonen im Grenzdorf Panmunjom in der demilitarisierten Zone propagiert haben. Angeblich war er auch einer der Organisatoren der Besetzung der amerikanischen Botschaft im Mai. Schließlich wirft ihm die Justiz vor, er sei einer der Rädelsführer der beiden studentischen Protestmärsche vom Juni und vom 15.August, die, nachdem sie von der Seouler Regierung untersagt wurden, in blutigen Straßenschlachten endeten. Diese Vergehen werden in Südkorea nach den „Nationalen Sicherheitsgesetzen“, den sogenannten „Anti-Kommunistengesetzen“, mit jahrelanger Haft geahndet.

Viele Studenten berichten, daß der Zusammenhalt ihrer Bewegung im letzten halben Jahr besser organisiert sei als je zuvor. „Die meisten kämpfen ohne Rücksicht auf ihr eigenes Schicksal, bis die Militärs endlich für eine wirkliche Demokratisierung Platz machen“, sagt eine Studentenführerin von kirchlichen Gruppen.

Seit Sommer 1987 haben sich die meisten oppositionellen Studentengruppen im Chun-Dao-Hyup zusammengeschlossen, einer Art Hochschulgewerkschaft. „Grundstein unserer Bewegung ist mittlerweile die Wiedervereinigung geworden“, sagt Kim. „Eine politische Konföderation zwischen dem kommunistischen Norden und dem kapitalistischen Süden“ hält er machbar.

Hindernis auf diesem Weg ist aber nach Ansicht vieler Studenten die Stationierung der 43.000 US-Soldaten in Südkorea. Sie hätten den Süden des Landes in die Abhängigkeit von Japan und Amerika gedrängt, während der Norden seinen eigenen Weg ohne Hilfe des Auslands gefunden habe.

„Viele Leute haben genug von den gewaltsamen Protesten der Studenten“, erzählte letzte Woche ein Diplomat in Seoul. „Die Leute denken, daß man das bißchen Liberalisierung erstmal konservieren und nicht schon wieder in Gefahr bringen soll.“ Lokalzeitungen berichteten letzte Woche sogar über Proteste von Seouler Geschäftsleuten, die um ihre Kundschaft bangen, wenn sich Polizei und Studenten mit Brandbomben und Tränengas Straßenschlachten liefern. Es wurden Umfragen zitiert, in denen die Mehrheit der Koreaner befürchtet, das nationale Gesicht zu verlieren, sollten die Olympischen Sommerspiele in Seoul in Tränengas untergehen.

„Noch nie stand die Bevölkerung so hinter uns“, beurteilt dagegen Kim die Stimmung. „Alle anderen Berichte sind nur Versuche der Regierung und ihrer Presse, einen Keil zwischen uns zu treiben.“

Immerhin demonstrierten in den letzten Wochen wieder 20.000 Studenten. Doch vorsorglich haben die jungen Leute versprochen, die Olympischen Spiele in Seoul nicht anzugreifen. „Wir werden nur gegen den unfriedlichen Charakter dieser Spiele protestieren“, versicherte Kim im Namen der Studentengewerkschaft, „von einer Störung kann keine Rede sein.“