Karpows erfolglose Computer-Partie

Journalist soll den ehemaligen Schachweltmeister um 800.000 Mark gelinkt haben / Verhandlung vor Hamburger Landgericht  ■  Aus Hamburg Ute Scheub

Einst, in der Fernsehserie „Schach dem Weltmeister“ des Jahres 1977, spielte der damalige Schachweltmeister Anatolij Karpow gegen das vom NDR-Journalisten Helmut Jungwirth zum Mitspielen aufgeforderte TV-Publikum. Die Partie endete Remis. Jetzt scheint der Redakteur in einer direkten Konfrontation mit der Schach-Größe kurz vor dem Matt zu stehen.

Aufgrund einer Strafanzeige von Karpows Anwälten steht der 45jährige smarte Cristdemokrat wegen Veruntreuung von rund 800.000 Mark aus den Karpowschen Werbeeinahmen vor dem Hamburger Landgericht. Insgesamt 46 Zeugen sind in dem Mammutprozeß geladen, darunter auch der berühmte Russe.

Schach per Postkarte

„Ich war nie aktiver Schachspieler“, bekannte am Donnerstag, dem ersten Verhandlungstag, der einstige stellvertretende Leiter des Fernsehstudios Hannover, der nach Festnahme und sechswöchiger Untersuchungshaft Ende 1985 wieder zum Rundfunk nach Hamburg zurückversetzt wurde. Erst durch einen schachbegeisterten Nachbarn sei er auf die Idee mit der Serie „Schach dem Weltmeister“ verfallen, bei der die Zuschauer per Postkarte mehrheitlich über einen Spielzug pro wöchentlicher Folge gegen den amtierenden Meister entscheiden sollten. Also spürte der Journalist das ihm bis dahin unbekannte Schachgenie bei einem Turnier in Jugoslawien auf und bot ihm 20.000 Mark Honorar fürs Mitspielen. Karpow sagte zu und eröffnete die Partie stilecht auf dem Roten Platz in Moskau.

Es sollte der Beginn eines „sehr dichten Beziehungsgeflechts“ werden. Jungwirth jettete dem Champion nun einmal pro Woche auf alle Turniere der Welt hinterher, um den nächsten Schachzug des Meisters zu filmen.

Als es nach einem dreiviertel Jahr und 38 TV-Folgen Remis stand, war für ihn noch lange nicht alles zu Ende. Weil der Russe normalerweise 80 Prozent seiner Einnahmen beim sowjetischen Staat hätte abliefern müssen, half das CDU -Mitglied Jungwirth dem KP-Mitglied Karpow beim Bescheißen, sagte jedenfalls der Angeklagte. Die 20.000 Mark Fernsehhonorar habe er mit Wissen des NDR auf eines der von ihm für seinen Freund im kapitalistischen Westen eröffneten Bankkonto transferiert.

Einen von Karpow für 75.000 Mark gekauften Mercedes 350 SEL habe er vor der Überführung nach Moskau als „Geschenk des deutschen Schachbundes“ deklariert. Sogar eine angeblich vom Schachmeister geplante Republikflucht via USA nach Venezuela habe er mit großen Kosten vorbereitet, hin- und herjettend durch die Welt. Und nie, sagt Jungwirth, nie habe er für diese Freundschaftsdienste einen Pfennig verlangt.

Schuld am Zerbrechen dieser Männerfreundschaft war ein dritter, ein gefühlloser und schlechter Mitspieler: ein Schachcomputer aus Hongkong. Auf besagte Vermittlung des NDR -Journalisten posierte der russische Meister per Foto auf der Verpackung jenes Computers der Hongkonger Firma Novag Industries Ltd. Von 1979 bis 1981 brachte ihm das 2,50 DM pro verkauftem Rechner, aber auch das Hohngelächter der Branche ein. Denn der Schachcomputer war ein Versager, der laut Jungwirth mal eben so „einen König verschwinden ließ“. Doch auch bei dem Angeklagten verschwand etwas: die 446.177,55 US-Dollar gleich 784.928,82 Mark, die „Novag“ an Karpows „Treuhänder“ Jungwirth übersandte. Eine ganze Menge Geld, hält der Journalist dagegen, habe er für die Serviceleistungen für Karpow verbraucht.

Den vorläufig letzten Schachzug in diesem seltsamen Spiel tat der Meister. Eine Zivilklage endete vor anderthalb Jahren in einem für Jungwirth bitteren Vergleich: er muß an Karpow nicht nur 800.000 Mark plus Zinsen zahlen, sondern auch die Verfahrenskosten. Der locker-lustige Lebemann mit seinem Rundfunk-Gehalt von 6.500 Mark netto droht seines Lebensstils verlustig zu gehen.

Ende der Karriere?

Da ein Ende seiner NDR-Karriere absehbar ist, hat er bereits damit begonnen, die nächste Männerfreundschaft auszubauen: die mit „Cats„-Betreiber Fritz Kurz, dem er beim umkämpften „Flora„-Theater zur Seite steht. Der Vorsitzende Richter Dr. Schröder, der jetzt noch so zuvorkommend agiert, hat aber bereits bewiesen, daß er auch Journalisten hinter Gitter schicken kann. Gerd Heidemann, der „Entdecker“ der „Hitler -Tagebücher“, stöhnt heute noch darüber.