Da waren die Genossen fassungslos

SPD-Frauen setzten sich bei der Vorstandswahl ad hoc auf der ganzen Linie durch / Erstmals war dank dem neu gefaßten Quotierungsbeschluß mit Frauenlisten und Männerlisten gewählt worden  ■  Aus Münster Ursel Sieber

„Die Frauen haben durchgezockt!“ Die Genossin von der Zählkommission hat soeben das Ergebnis verlesen, und nun sind die Genossen vollends konfus. Zum ersten Mal ist nach dem frischgebackenen Quotierungsbeschluß gewählt worden und auf der „Männerliste“ sind fast alle Genossen in hohem Bogen durchgefallen. Einfach so. Da haben sie vor zwei Tagen ganz brav „die Pfote für die Quote“ (ein Delegierter) gehoben, und das ist nun der Dank: Horst Ehmke, Klaus von Dohnanyi, Hans Apel, Peter Glotz, Wolfgang Roth - all die bekannten und verdienten Herren krebsten bei 100 Stimmen herum; Karsten Voigt hat sogar nur 54 Punkte gemacht. Nur vier Genossen schafften ad hoc den Sprung in den Vorstand.

Genau umgekehrt sah es bei den Genossinnen auf der Frauenliste aus: Da waren 200 Stimmen schon wenig, und gleich im ersten Durchgang saßen fast alle Kandidatinnen im Vorstand.

So etwas haben die Genossen noch nie erlebt. Während die siegreichen Damen ihre Blumensträuße entgegen nahmen, kauten die Herren fassungslos an ihren Fingernägeln herum. Der nächste Wahlgang stand bevor, die Unruhe in der Münsterland -Halle nahm zu. „So kann man eine Partei auch kaputtmachen“, schimpft ein Delegierter und strebt mit einem anderen erschüttert aus der Halle. Ein anderer meint kopfschüttelnd, daß man „bei so einem Verfahren ja gar nicht kungeln kann“. Andere Delegierte stehen in der Gegend herum und sinnieren, daß das schon schlimm ist, wenn „ein Dohnanyi“ so wenig Stimmen hat und vielleicht erst im vierten Wahlgang das Rennen macht.

Ein paar Delegierte aus Bayern diskutierten ganz aufgeregt, wie man jetzt für „den Hiersemann“ oder für „den Glotz“ etwas tun kann - denn ohne „einen Bayer“ im Vorstand könne man sich nicht mehr nach Hause trauen. Und überhaupt: Für Berlin war „der Momper“ noch nicht drin, und wenn „der Roth“ nicht reinkäme, der doch das wirtschaftspolitische Programm geschrieben hat... Parteisprecher Heußen läuft unterdessen mit der neuesten Agenturmeldung herum, die genauso aufgeregt den „Durchmarsch der Frauen im ersten Wahlgang“ vermeldete: „Auf der ganzen Linie setzen sich die Frauen durch.“

Die Phantasie hatte der Wirklichkeit ein Schnippchen geschlagen. An diesem Abend hätte die Quote bestimmt keine Mehrheit mehr bekommen. Das neue lila Kleidchen drückte plötzlich auf die Stimmung. Einige müssen ganz furchtbar darunter gelitten haben, daß sie soviel weniger Stimmem als die Frauen bekommen haben. Dabei war eigentlich alles ganz einfach. Eigentlich. Aber „es gibt hier Männer“, so witzelte die Bonner Abgeordnete Renate Schmidt, „die können einfach keine Mathematik“.

Was den Männern als Niederlage im Geschlechterkampf erschien, hatte nämlich einen ganz simplen mathematischen Grund: bei den Männern verteilten sich die Stimmen einfach auf mehr Kandidaten. Schließlich wurde ja diesmal nur nach der 33-Prozent-Quote gewählt. Erst als die Frauen- und Männerliste mit je einem Drittel „gefüllt“ und die restlichen Kandidaten wieder „normal“ bestimmt wurden, kam die sozialdemokratische Welt so langsam wieder in Ordnung. Da eine Kandidatin (Margitta Teborg) zurückzog, mußten nur zwei Männer ausscheiden. Hans Apel und Peter Glotz mußten dran glauben.

Offenbar hatten es am nächsten Morgen noch immer nicht alle begriffen. Denn Vogel kam in seinem Schlußwort noch einmal darauf zu sprechen: das Verfahren sei von vielen Kandidaten als „belastend“ empfunden worden; und fügte dann erläuternd hinzu: „Vergleiche mit früheren Wahlergebnissen verbieten sich.“