Edle Andacht, stille Muse

■ BREMINALE: Neue Kammermusik. Beim 121. DACAPO-Konzert zu Stockhausens 60. Geburtstag spielte das Munich Art Ensemble Werke von Cage, Berio, Stockhausen

Wer sich am Sonnabend in Bremen musikalisch vegnügen wollte, hatte dazu reichlich Gelegenheit. So tobten zum Beispiel in Hastedt bei der Off-Breminale schon seit dem Nachmittag Rock -und Punkgruppen durchs Wehrschloß und unterhielten eine große Schar von gutgelaunten Menschen. Bier, Gitarren und Lederjacken beherrschten das ausgelassene Treiben, gute Stimmung gab es allenthalben.

Dann der Kulturschock. Nach zehnminütiger Fahrradfahrt waren die Weserterrassen der Ort, der dem Bild eines heiligen Kulturtempels einer Bildungselite bedrohlich nahe kam. Eine gedämpfte Stimmung und gespannte Erwartungen offenbarten sich in diszipliniertem Stillsitzen.

Doch bevor das Munich Art Ensemble beginnen konnte, wurden erst einmal ernste Worte gesprochen. Organisator Ingo Ahmels beklagte sich vor dem 121. Dacapo-Konzert in einer geradezu unangemessenen Sachlichkeit über die ABM -Politik des Senats. Nach dreijähriger Arbeit läuft eine der qualitativ hochwertigsten Veranstaltungsreihen im Bremer Kulturgeschehen Gefahr, dem finanziellen Kahlschlag zum Opfer zu fallen.

Das tat der Konzentration des Publikums keinen Abbruch: Geist und Körper im Einklang, bedurfte es nur eines tonalen Windhauches, die ZuhörerInnen

in meditative Sphären höchster Konzentration zu versetzen. Alexander Gotowtschikow spielte das „7 mal 1 für Perkussion“ von Carlos Heinrich Veerhof auf seinem Schlagzeug wie ein Gärtner, der seine Pflanzen umsorgt. Fast penibel bemüht, seinen Trommelfellen und denen des Publikums nicht weh zu tun, klopfte er getragene Figuren, die den Raum mit fast melodiösen Klängen erfüllten. Der hochsensible Künstler erging sich in leichten, mitunter gar flüsternden Sequenzen, die jedes Räuspern oder Husten zur unerträglichen Irritation geraten ließen. So war es auch kein Wunder, daß der Applaus zum Ende des Vortrags wie Lärm wirkte. Auch Gotwtschikows zweiter Solo-Auftritt nach der Pause bemühte die Aufnahmefähigkeit des Auditoriums bis an die Grenzen. Reinhard Febels „Formation für einen Schlagzeuger und Tonband“ zwang auch diejenigen zum Hinsehen, die bis zum Ende des ersten Sets mit geschlossenen Augen in sich versunken dem akustischen Geschehen folgten. Doch nun bot der Münchener eine pantomimische Vorab-Bespielung seiner Perkussionsgeräte, denen der Ton mit Sekunden-Verzögerung vom Band folgte. Es ging sogar so weit, daß die Maschine ganz das Geschehen übernahm.

Doch nach einer kurzen Phase der inneren Sammlung besann er

sich wieder auf seine musikalischen Qualitäten und bot im Verein mit seinen Ensemble-OhnegliederInnen Joan Schneider (Klavier) und Alison Welles (Sopran) Überragendes. Karlheinz Stockhausens Populär-Werk Tierkreis war nicht nur eine Huldigung aus Anlaß des 60. Geburtstages des Meisters, sondern eine Hommage an das Lebensschaffen des Komponisten. Schon die akribische Vorbereitung nötigte den Wartenden eine qualvolle Spannung ab, die im folgenden durch das bestechende Zusammenspiel der drei AkteurInnen die angemessene Entladung erfuhr. Alison Welles stimmliche Variationsmöglichkeiten, mit denen sie schon in einem Stück von Luciano Berio brabbelnd, schnalzend und kantilierend eine begeisternde Reise über das Notenblatt unternahm, rissen ihre beiden MitspielerInnen zu interaktionellen Höchstleistungen an Klavier und Vibraphon mit.

Doch, der Maestro möge verzeihen, zum heimlichen Höhepunkt wurde die als Rarität angekündigte Klaviersonaten-Folge von John Cage für ein präpariertes Piano. Das mit Schrauben und Platikschläuchen verfremdete Klavier, das einer Politur durchaus bedurft hätte, war dann auch in der Pause der Anziehungpunkt. Joan Schneider spielte die assoziativen Stücke mit einer ihr innewohnenden Ruhe, die sich unweigerlich auf das Publikum übertrug. In musikalischer Andacht lauschten alle den manchmal kinderliedhaften Passagen, deren unendliche Sanftheit nur durch die kleinen, spannenden Dissonanzen kontrapunktiert wurden. Metallische Klangimpressionen und angedeutete rhythmische Elemente wiesen in ganz andere, unbekannte Hör-Richtungen, und die ZuhörerInnenschar folgte bedingungslos. Ein enthusiastischer Beifall kündete von restloser Begeisterung.

Der anschließende Gang über die Weserwiesen und das Betrachten der exzellenten Kurzfilme am Deich geschah im Taumel.

Jürgen Francke