Die alltägliche Pharma-Korruption

■ Gestern erfuhr der Bremer Untersuchungsausschuß „St.-Jürgen-Straße“, wie die Pharmafirma Boehringer Großgeräte, Reagenzgläser und Honorare an den Chefarzt brachte und wie sie „absolut alltäglich“ dem Förderverein spendete

Fast jeder Bremer Patientin ist schon einmal per Spritze der rote Saft aus den Venen gezogen worden. Das ist schließlich ungefähr so normal wie das Abgeben eines Röhrchens mit Urin bei einer Krankenschwester. Aber nur die wenigsten, die sich bisher vertrauensvoll in einer Klinik Körperflüssigkeiten abzapfen ließen, machten sich auch Gedanken darüber, durch welche bestechlichen Kanäle wohl das jeweilig notwendige Analysegerät in das Kliniklabor gelangte. Nach der gestrigen Sitzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses „St. -Jürgen-Straße“ allerdings werden derartige Gedankengänge rapide zunehmen. Die Zeugenvernahme ergab, daß bundesweit die Bestechlichkeit beim Analyse-Apparate-Bestellen so normal ist wie die Blut-und Urinabnahme am Krankenbett.

Einblicke bot gestern vor allem Wolfgang Albrecht, Verkaufsdirektor der Firma Boehringer/Mannheim, der gleich vorab betonte, er dürfe selbstverständlich nicht an Betriebsgeheimnissen rühren. Nicht unter das Betriebsgeheimnis fiel etwa folgende „absolut normale“ Transaktion: 1984 stellte die Firma Boehringer kostenlos ihren brandneuen Analyseautomat „Hitachi 737“ im Zentrallabor des Klinikums auf und bat den verantwortlichen Professor Dr. Reiner Haeckel, das neue Boehringer-Modell wissenschaftlich zu erproben. Für diese „internationale Erprobung“ bekam jedoch nicht das Klinikum, sondern der „Förderverein

St.-Jürgen-Straße“ eine Spende von 10.000 überwiesen. Diese Zuwendung ist für Boehringers Verkaufsdirektor Albrecht eine „absolut normale Angelegenheit“, sprach er doch auch nicht von „Spenden“, sondern von der „Beschaffung von Drittmitteln für Kliniken“. Auch in anderen Kliniken der Bundesrepublik gebe es solche gemeinnützigen Fördervereine: „Bremen ist da keine Ausnahme.“

Doch nicht nur der Bremer „Förderverein“, in dem der geschaßte Bremer Verwaltungsdirektor Aribert Galla den Vorsitz führte, auch der Bremer Professor Haeckel bekam eine Boehringer-Zuwendung: Ein Honorar von 4.000 Mark für seine Publikation über das Bestimmen von Harnsäure mittels neuer Boehringer-Gerätschaften.

Nachdem die Kontakte um die Apparaturen herum soweit gediehen waren, entschloß sich der Professor, bei der Firma Boehringer einen Analyseautomat „Hitachi 737“ für 420.00 Mark zu ordern. Allerdings war der Professor nicht völlig mit dem Großgerät zufrieden. Er monierte, der Probendurchsatz pro Stunde sei viel zu gering. Die Firma Boehringer wußte Rat: Sie erbot sich, dem Zentrallabor des Professors nicht nur ein Gerät zu verkaufen, sondern ihm ein zweites Gerät völlig kostenlos zu überlassen. Auf dieses Angebot ging die Klinikleitung ein, allerdings verpflichtete sie sich in einem Koppelvertrag, in den nächsten fünf Jahren ihre Reagenzien von der

Firma Boehringer zu beziehen - zu einem imposanten jährlichen Gegenwert von 400.000 Mark.

Die Anschluß-Frage der grünen Parlamentarierin Carola Schumann, an wen die Firma Boehringer denn noch alles so in Bremen spende, wollte der Verkaufsdirektor nicht beantworten: „Diese Frage ist zu breit.“ Er teilte jedoch mit, daß allein dem „Förderverein St.-Jürgen-Straße“ weitere Boehringer-Spenden zugegangen waren: Beispielsweise 60.000 Mark als Gegenleistung für ein Gutachten, das Professor Engel vom Klini

kum „Links der Weser“ abliefern wolle oder 2.000 Mark für den Chef der Frauenklinik, Langnickel, der eine Fortbildungsveranstaltung organisiert hätte.

Galla-Aktionen

Während bei diesen Boehringer-Transaktionen die bundesweite „Normalität“ des Pharma-Geschäftsgebarens nicht in Abrede stand, kamen im Fortgang der Ausschuß-Sitzung noch Klinik -Transaktionen zur Sprache, die sich recht typisch für den geschaßten Verwaltungsdirektor Galla ausnahmen. Nicht nur, daß Ari

bert Galla den Prokuristen der traditionsreichen Bremer Firma Jürgens davon überzeugte, von seiner Ehefrau Ursula Galla Toilettenpapier im Wert von für 2.200 Mark zu erwerben. Galla arrangierte darüberhinaus ein Dreiecksgeschäft über 572.000 Mark, das nicht in den Klinikbüchern auftauchte und das an den Haushalts-und Investitionsplanungen der Klinik vorbeilief. Das Dreiecksgeschäft war so konstruiert, daß die St.-Jürgen -Klinik für ihre modernisierte Blutbank unter Prof. Diekamp zahlreiche Geräte von der Firma Jür

gens beziehen konnte, ohne für diese Lieferungen bezahlen zu müssen. Bezahlt wurden die offenstehenden Jürgens Geräte -Rechnungen von der Firma Serapharm. Serapharm wiederum bezog Blutplasma aus der St.-Jürgen-Straße, bezahlte dafür aber vereinbarungsgemäß nichts bei der Klinik, sondern verpflichtete sich, an Stelle der fehlenden Blutplasma -Rechnungen die offenen Geräterechnungen der Firma Jürgens zu bezahlen.

Besondere Bremer Note: Der Cousin und die Ehefrau des Herrn Galla nutzten diese umwegigen Firmenbeziehungen, um sich recht abstruse Rechnungen, wenn nicht gar Scheinrechnungen begleichen zu lassen. So verschickte der Galla-Cousin und Nicht-Architekt Hoobs eine Rechnung in Höhe von 26.000 Mark, worin er Planungsarbeiten für die Blutbank kühn nach der Architektenordnung abrechnete. Erst als Professor Diekamp als Leiter der Blutbank der Firma Jürgens versicherte, die architektonischen Arbeiten seien tatsächlich angefallen, spielte die Firma Jürgens mit. Sie bezahlte die vermeintliche Architektenrechnung, holte sich den Betrag dann von Serapharm zurück.

Eine ebenfalls dubiose Rechnung - über medizinische Fachbücher - verschickte Frau Ursula Galla. Diese Bücher sind bis heute im Zentralkrankenhaus nicht aufzufinden.

Die Bremer Bestechlichkeit ist eben doch nicht ganz normal.

B.D.