'Titanic'-live-Satire im ZDF

■ Der beste deutsche Showmaster und sein „Wetten daß...?“ am Samstag abend

Warum das Fernsehen nicht als das nehmen, was es ist: ein gigantisch-glatter Supermarkt, in dem man nach Lust und Laune herumstöbern kann und manchmal eine Perle entdeckt: Thomas Gottschalk, früher Radio-Luxemburg-Moderator, der mit unwiderstehlichem Lächeln und Netter-Junge-Charme die Herzen der TV-Gemeinde erobert. „Wetten daß...?“ ist die einzige große Unterhaltungssendung, die man sich anschauen kann, ohne von hinterwäldlerischen Humor-ist -wenn-man-trotzdem-lacht-Plattheiten belästigt bzw. gelangweilt zu werden.

Zu einer Zeit, wo jeder erbärmliche Fernsehfritze seinen angewärmten Chefsessel durch Anbiederung an den Massengeschmack zu behalten trachtet, wäre ein Vergleich mit früheren Fernsehshows ungerecht, weil etwa das grandiose „Wünsch Dir Was“ oder Menges „Millionenspiel“ auf Zuschauer -Provokation aus, und deshalb erfolgreich waren.

Thomas Gottschalk ist einer der wenigen, der Unterhaltung nicht auf Kosten der Zuschauer macht. Er stellt keine dummen Fragen an verblödete Reader's-Digest-Superhirne, redet nicht im Schulterklopfton und auch das Alle-Menschen -werden-Brüder-Gehabe ist bei ihm kaum ausgeprägt.

In „Wetten daß...?“ werden Leute präsentiert, die irgendetwas - völlig Unsinniges - möglichst perfekt beherrschen. Am Samstag vier Muskelprotze, die ein Flugzeug anschieben, oder zwei Bauernjungs, die mit einem scheinbar unsensiblen Traktor millimetergenaue Geschicklichkeitsübungen ausführen können: Sisyphus-Arbeit unbewußter Anarchisten, sozusagen. Und natürlich ist immer noch richtig, was Warhol philosophierte: daß in der modernen Gesellschaft der am weitesten kommt, der in der Medienshow „Leben“ die Kameras am längsten auf sich gerichtet sieht.

Obwohl „Wetten daß...?“ eigentlich eine von Grund auf biedere Sendung ist, wo niemals jemand das Wort Homosexualität in den Mund nehmen würde - am Samstag etwa „unser Mann in Hollywood“, Jürgen Prochnow, der seinen schauspielerischen Erfolg mit dem umstrittenen Schwulenfilm „Die Konsequenz“ begründete - beweist Gottschalk im Gegensatz zu seinen deutschtümelnden Kollegen ein Gespür für völkerverbindende Blödheit; daß dies gerade zur ersten Miss Moskau gekürte Mannequin außer Belanglosigkeiten nichts über die Lippen brachte, kann ebenso als Beweis für die universale Stupidisierung der Jugend wie für die siegreiche Durchsetzung kapitalistischer Interessen in der SU angesehen werden.

Diese Qualität müssen auch die Macher des Satire-Magazins 'Titanic‘ erkannt haben: Was als belanglose Warnung an die Kinder begann, das Fernsehen jetzt einmal nicht ernstzunehmen, und fortan keine Buntstifte in den Mund zu nehmen, entpuppte sich als Zusammenbruch jedweder vertrauten Fernseh-Sicherheit: Ein 'Titanic'-Redakteur führte unter falschem Namen seine Buntstift-Geschmacks -Experimente vor und gab dann seine wahre Identität und seine Beweggründe zu erkennen: einmal im ZDF, zu bester Sendezeit, das Titelblatt der nächsten 'Titanic'-Nummer in die laufenden Kameras und die Wohnstuben der Bundesbürger zu halten.

Das ertönende Pfeifkonzert der anwesenden Zuschauer dürfte Ausdruck von Entsetzen an Millionen Bildschirmen gewesen sein: der plötzliche Verlust jener Simulation von Sicherheit und Zusammenhalt, den das Fernsehen in Form der täglich befriedigten Erwartung frei Haus liefert. Mit einem Mal schimmerte doch jene Unberechenbarkeit auf, die für solche Live-Sendungen unerläßlich ist, die aber nie Wirklichkeit werden darf - und sei es nur die Unberechenbarkeit eines Buntstifte-kauenden Konkurrenz-Redakteurs, der das Geheimnis seines Erfolges erst im eigenen Medium preisgeben will...

Zu den Bewußtseinsblähungen deutscher Sing-Sang-Kultur a la BAP oder Grönemeyer gab Gröhle selbst den Kommentar: Er brauche in den nächsten Tagen erst einmal Ruhe, um die ganzen Eindrücke dieses Abends auf sich wirken zu lassen... Ruhe sanft!

Torsten Alisch