David gegen Goliath

St. Pauli moralischer Sieger im Hamburger Lokalderby (1:1)  ■  PRESS-SCHLAG

Georg Volkert, Manager des FC St. Pauli, wiegelte vor dem Spiel ab: „Wir bilden uns nicht ein, auf Sicht die Nummer Eins“ in Hamburg werden zu können. Sind sie aber fast schon. Die Nummer Eins, das war bis vor kurzem der ruhmreiche Hamburger SV. Spätestens mit Beginn dieser Saison haben sich die Verhältnisse umgekehrt. Der HSV krebst irgendwo im Mittelfeld herum, spielt allerübelsten Angestelltenfußball und lockt nur noch allertreueste Masochisten ins Volksparkstadion. Ganz anders die Stimmung beim Aufsteiger FC St. Pauli. Eine Stadt liegt dem Verein mittlerweile zu Füßen. Selbst die Querelen um diverse ungeklärte Bilanzposten, die wochenlang wahre Heerscharen von Lokalreportern beschäftigten, konnte die frisch erwachte Zuneigung der Hamburger zum Verein von der Reeperbahn nicht im geringsten erschüttern.

Der FC St. Pauli hat zumindest bei Heimspielen den stärksten Trumpf auf seiner Seite: die Zuschauerkulisse, die in die Millerntor-Fußballarena - zwischen Kiez, Hafen und Schanzenviertel gelegen - pilgert, hält sich nicht vornehm zurück, die brüllt, schreit und unterstützt „ihren“ FC St. Pauli, selbst wenn er gegen Goliaths wie den VfB Stuttgart keine Chance zu haben scheint. Aber, wie gesagt, das Publikum: Nicht zuletzt durch dessen Begeisterung mußte sich am letzten Wochenende eine nach 91. Spielminuten demoralisierte Schwaben-Elf mit 1:2 geschlagen geben. Hamburgs Fußballwelt stand Kopf - wer war da noch der HSV?

Und nun das Lokalderby. Vor elf Jahren, am 3. September 1977 gewannen die Aufsteiger schon einmal. Mit 2:0 fegten sie den etablierten HSV vom Platz. Damals beim HSV im Spielerkader: Georg Volkert, heute St.-Pauli-Manager, Willi Reimann, bis November letzten Jahres St.-Pauli-Trainer und Manfred Kaltz, heute noch beim HSV aktiv.

Beide Vereine hatten vor dem Spiel im Volksparkstadion eine Teilung der Einnahmen vereinbart. 48.000 Zuschauer kamen schließlich; die Ostkurve war fest in der Hand der St.-Pauli -Fans samt einer kleinen Schar von Friedensbewegten, die sich anläßlich des Sportfriedenstages in den Millerntor-Pulk eingereiht hatten; in der gegenüberliegenden Westkurve versammelte sich die HSV-Anhängerschaft.

Um es vorwegzunehmen: Die FC-St.-Pauli-Fans, durch die Tartanbahn leider fünfzehn Meter von ihren Lieblingen entfernt, waren die einzigen, die Stimmung ins kalte Betonoval brachten. Aber die Torchancen hatte der HSV. Sie wurden allerdings sämtlichst vom Pauli-Torwart Volker Ippig pariert, bis Manfred Kaltz in der 68. Minute doch ein wunderschönes Tor im St.-Pauli-Kasten unterbringen konnte. Während sich danach die ersten HSV-Anhänger nach Hause bewegten, legten sich die „St. Pauli, St. Pauli„-Chöre noch mal ins Zeug, das Happy-End mußte her. Das Glück der Davids gegen die Goliaths fehlte auch diesmal nicht: CSSR -Nationalspieler Jan Kocian schaffte kurz vor Schluß (85.) den Ausgleichstreffer und die St.-Pauli-Fans schunkelten begeistert.

Jan Feddersen

HSV: Koitka - Jusufi - Kober, Moser - Kaltz, Möhlmann, von Heesen, Bein, Jensen - Bierhoff, Labbadia

ST. PAULI: Ippig - Kocian - Ulbricht, Duve - Olck (73. Bargfrede), Gronau, Zander, Ottens (65. Ozaki), Flad Golke, Steubing.