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Georgische Ansichten

■ Unter Stalin war's besser als heute, meint Regisseur Sergej Parazanov

Sergej Parazanov, ein georgischer Regisseur, der vor elf Jahren schon einmal nach Venedig eingeladen wurde, aber nicht kommen konnte, da er wieder einmal im Gefängnis saß, kam diesmal - mit einem Märchenspiel um eine reiche Tochter und ihren armen Geliebten: Asik Kerib. Wie es sich offenbar auch für ein islamisches Märchen gehört, hat die Story ein Happy end. Bei uns wird so etwas gerne im Samstagnachmittagprogramm gezeigt, damit die Eltern ihre Kinder für ein paar Stunden los werden, um neue zu produzieren, denen dann wieder Filme gezeigt werden..., bis sie selbst ihre Kinder vor ebendiese Filme setzen, um neuen Nachschub für Filme dieser Art von neuen Regisseuren dieser Art zu produzieren.

Mehr als mit diesem Film verblüffte Parazanov die versammelten Journalisten mit deutlicher Kritik an Gorbatschow: „Stalin ein Krimineller - so hatte Bucharins Witwe gesagt -, aber nicht eine Spur davon. Was heute im Namen der Perestroika geschieht, ist doch viel schlimmer. Für Kunst und Kultur hat Perestroika nichts gebracht, ja sie hat sogar Dichter wie Tarkowsky getötet.“ Plötzlich fängt er an zu weinen und erklärt: „Es ist ungeheuerlich, ich darf nur eineinhalb Tage in Venedig sein. Ich habe nicht einmal die Zeit, mir San Marco anzusehen. Ich wollte meinen Hauptdarsteller mitbringen, ein hervorragender kurdischer Schauspieler, aber sie haben ihm keine Ausreisegenehmigung gegeben. Fünfzehn Tage mußte er ins Gefängnis, weil er bei einer stinknormalen Schlägerei dabei war. Das ist eure heißgeliebte Perestroika. Laßt mich hier leben, in Italien. Ich werde einen Film über Dantes Göttliche Komödie drehen. Ich habe Brillanten und Diamanten dabei, die kann ich verkaufen.“ Dann hatte er sich wieder beruhigt und erklärte seine Ansicht von Gorbatschow: „Wäre er nicht Politiker, er wäre ein hervorragender Schauspieler. Gorbatschow ist Hamlet.“

Über seine Zeit im Gefängnis - wegen Ikonenschmuggel und Homosexualität - sagt er: „Drei Jahre Isolationshaft. Das hat mich unsterblich gemacht. Als ich ins Gefängnis kam, war ich Regisseur. Als ich es verließ, war aus mir ein Künstler geworden. Jeder sollte mindestens ein Jahr lang ins Gefängnis. Das war mein Oxford. Achthundert Werke habe ich dort geschrieben.“

Inzwischen soll der Regisseur wieder in Tiflis eingetroffen sein. Ob mit oder ohne seine Diamanten, ist nicht bekannt.

Arno Widmann

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