Mummenschanz und Menschwerdung

■ BREMINALE Tanztheater: „Het nieuw symbolistisch Theater Amsterdam“ und „Tanztheater Regenbogen“ machten weder vor kleinen Frechheiten Halt, noch vor Comic-Strip

Was als „neo-dekadentes Plagiat der schönen Künste“ angekündigt war, entpuppte sich als vergnügliches Mummenschanzspektakel. Zwei Mimen mit Tanzausbildung führten einen Reigen absurder Situationen vor und machten dabei vor keiner kleinen Frechheit halt.

Wo sonst können wir Zeuge werden, wenn ein glubsch-köpfiger Priester in Robe von einer Bauchtänzerin mit ebenso überdimensioniertem Schädel angebalzt wird? Dem klerikalen Gnom schien's zu gefallen, denn schwuppdiwupp stand er da ohne Kleider und war bereit für alles. Nach der Entschleierung der Angeflöteten war ihre Attraktivität allerdings dahin. Aber so leicht ließ sich die Muselmanin nicht abservieren. Der Unwürdige wurde kurzerhand geköpft und tanzte trotzdem weiter.

Solche Szenen sind nicht besonders tiefsinnig, aber sehr unterhaltsam. Der Absurdität ein Denkmal setzten die beiden HolländerInnen auch beim klassischen Romeo-und-Julia-Thema. In barockem Ambiente zeigte der Lover wenig Neigung, seiner Angebeteten ständig den Hof zu machen. Diesmal blieb der Kopf dran, nur das männliche Bein ward hernach in Gips gehüllt kein Hindernis allerdings für ein mitreißendes pas -de-deux. Das Publikum im vollbestzten Zirkuszelt war hellauf begeistert über so viel getanzten Blödsinn, auch zu so

später Stunde.

Einen ganz anderen, viel ernsteren Eindruck hinterließen am Sonntag die Beteiligten des Tanztheaters Regenbogen im Freiraumtheater. Nach der kurzfristigen Verlegung weg von den Weserterrassen kam zu allem Übel auch noch eine Erkrankung eines Ensemble-Mitgliedes dazu. So mußte sein Vertreter in Tag-und Nachtarbeit das gar nicht so leichte Repertoire einüben.

Die ZuschauerInnen erlebten im ersten Teil zu düsteren Sphärenklängen von Brian Eno bei schummriger Spot -Beleuchtung drei Körper, die sich über den Boden bewegten. Kriechend, robbend, wälzend, schlängelnd wanden sie sich über die Fläche und erzeugten Assoziationen an Kreaturen im Urschlamm oder Pflanzen, die sich rankten. So entwickelten sich ihre Bewegungen immer weiter, sie wurden koordinierter, Wasserklänge und fischgleiche Körper machten den evolutionären Eindruck perfekt. Die Musik wurde offener, das Licht heller und die TänzerInnen in ihrer Tier-Darstellung figürlicher. In meditativer Ruhe, ganz ohne Hast wurde das Publikum Zeuge der Menschwerdung, der Selbsterfahrung, des Begreifens, der körperlichen Choreographie. Zu einem hymnischen Klavierstück von Keith Jarrett entwickelte sich auch der Tanz zu einer pulsierenden Sequenz mit ausladendem

Gestus.

Nach der Pause dann der Bruch: Vorbei die sinnliche Atmosphäre der Werdung, das moderne Alltagssein beherrschte die Szene. Was hat der Mensch aus der Welt gemacht? Mehr mit den Mitteln der Pantomime und tänzerischen Anleihen beim Comic-Strip stellten die RegenbogentänzerInnen den Niedergang der natürlichen Werte dar und die Allmacht der Dekadenz. So endete es, wie es angefangen hatte. In einer Rebirthing-Schlußsequenz verdampfte alles Schlechte unter Schmerzen in den Bäuchen der AkteurInnen. Vom Kollaps blieb das Publikum verschont. Es bedankte sich langanhaltend.

Lobsang Samten