Gottes Autobiographie

■ Die Heilige Schrift, neu geschrieben von Franco Ferrucci

Ulrich Ebermann

Es geht ein Ruf mit Donnerhall: Gott ist nicht tot! Er lebt zuweilen unter uns. Sein Reich ist doch von dieser Welt. Unter dem Pseudonym Franco Ferrucci offenbart uns der Herr sein wahres Wesen. Nicht länger sind wir auf fragwürdige Glaubensentscheidungen verwiesen.

Wir wir aus anderen Quellen (vgl. Die Heilige Schrift, Genesis) wissen, schuf Gott die Welt aus dem Nichts. Am Anfang allen Seins war seine Sprache die Sprache des Wunsches, sein gesprochenes Wort die unmittelbare Gestaltwerdung des Wunsches in der kosmisch-universalen Wirklichkeit. Also schuf der Kreator sein magnus opus. Nur die Gegenwart unseres Werkes verzaubert uns!

Und Gott schuf die Welt nach seinen Vorstellungen. Aber schon bald langweilte ihn sein Werk. Selbst die Riesenechsen boten ihm nicht genug Unterhaltungswert. So beschloß er, um dem ärgsten Leiden, der Langeweile, zu entgehen, Autor zu werden. Aber was ist ein Autor ohne Leser?

Am Abend eines harten Schöpfungstages schuf der Herr, um endlich ein bißchen Spiel und Scherz in die Welt zu bringen, den Affen und nannte ihn Zita, und er machte sich auf eine lange, interstellare Reise. In Gottes absoluter Einsamkeit im kalten, leeren Raum zwischen den Sonnen kam ihm der Wunsch, ein Wesen nach seinem Bilde zu schaffen, auf daß er mit ihm sprechen und sich ihn ihm erkennen könne.

Wieder auf Erden besah er sich den auserkorenen Planeten. Da wurde er Zita ansichtig, die ihr Fell verloren und sich auch sonst verwandelt hatte. Also schuf der Herr den Menschen aus dem Affen nach seinem Ebenbilde.

Bis hierhin ist die Offenbarung mit älteren Quellen über weite Strecken nahezu identisch. Aber jetzt zeigt sich die Differenz: Mit dem Erscheinen des Menschen auf der Bildfläche war Gottes produktive Phase endgültig zu Ende; es begann eine humanisierte, nach-schöpferische Weltgeschichte. Sie war geprägt von Begegnungen mit Menschen. Die erste endet sogleich tragisch. Unser Schöpfer führt lange Gespräche mit dem Mann Moses auf dem Berg Sinai. Er begeistert ihn von der Idee, ein erwähltes Volk, Israel, mit Mythen und einer Moral auszustatten und es in ein gelobtes Land zu führen, in eine Welt voll von Bedeutung. Schnell wird ihm der Prophet Moses zum Gegner. Dieser sieht in Gott den Rivalen. Im Gefolge des verruchten Tanzes des erwählten Volkes um das Goldene Kalb wird die erste Gottessucherin und Geliebte Gottes, Asca mit Namen, auf Geheiß des streng und fanatisch moralisierenden Moses mit ihrem Liebhaber, Gott, wegen Ehebruchs gesteinigt.

Der Herr erwacht, da unsterblich in seinem Wesen, auf einer griechischen Insel. Er treibt sich mit der philosophischen Prominenz Griechenlands herum. Dort muß er erkennen, wie ein zweites Mißverständnis entsteht: die Idee des Gottes des Philosophen, der in ihm eine mathesis universalis, einen Urstoff oder den unbewegten Beweger erblickt. Gott sieht sich als Sammelbecken für Absolutheitsdenken aller Art mißverstanden.

Die Fehldeutungen gehen weiter: Es ärgern ihn die Lehren Buddhas. Schließlich hatte er das ja nicht alles geschaffen, daß da einer komme und predigt, daß alles sei nur Lug und Trug, und Leiden und das Heil bestünden in der Erlösung von allem Dasein, die doch mit dem Tod sowieso eintritt.

Der Herr schläft mit der Prostituierten Maria, ohne ein Kondom zu benutzen. Sie ehelicht bald darauf den Zimmermann Joseph und gebiert einen Knaben namens Jesus. Dieser behauptet, der Sohn Gottes zu sein, womit er so falsch nicht lag. Er hat die Idee des ewigen und ewig glückseligen Lebens in Gott, spricht von einem Gerichtstermin am Ende aller Zeiten u. a. m. und läßt sich kreuzigen, damit man ihn und seine Ideen nicht vergesse. Sein Jünger Petrus errichtet einen Kult um ihn, der die Jahrhunderte überdauern sollte.

Aus dem zornigen Wüstengott Jahwe war der allmächtige und gnädige christliche hervorgegangen. Wenn man mitzählt: die vierte Fehldeutung. Gott konnte seinen Abscheu vor der heiligen Messe nie überwinden.

Der Herr muß sich weiter mit seinen rebellischen Kindern herumärgern. Ein Mißverständnis jagt das andere: Senecas Gotteszeugenschaft, Augustinus‘ Theodizee, Thomas von Aquins Finalursache und ontologische Gottesbeweise sowie Dantes jenseitige Landschaften von Himmel und Hölle, die nicht existieren.

Gott wird ein Vertrauter vieler bedeutender Männer. Auf Kolumbus‘ Schiff ist er als Schiffsjunge dabei. Mit Einstein führt er Gespräche über die raumzeitliche Struktur des Universums. Einstein kann nicht glauben, daß er, das Ebenbild, mehr davon weiß als der Schöpfer. Dabei ist es doch oft so, daß der Interpret ein Werk besser versteht als dessen Produzent. Durch Freud lernt Gott sein Unbewußtes benennen, was ihn die Unzulänglichkeit der Schöpfung besser verstehen läßt.

Zwei Dinge plagen ihn besonders: die falschen Definitionen und die Unzulänglichkeit der Welt. Diese muß Gott unter anderem in den Schlächtereien der beiden Weltkriege sehen. Der ehemalige Anarchist und spätere „Duce“ Mussolini beklagt sich kurz vor seiner Erschießung bitter bei ihm, daß er ohne göttliche Führung notwendig fehlgehen mußte. Hitler erkennt ihn in seinem Bunker ebenso wenig wie die Sieger, die über ihren Landkarten die Welt aufteilen.

Ferruccis Gott hat Weltgeschichte als großes Unterhaltungsprogramm und psychotherapeutische Inszenierung in Gang gesetzt. Dem Menschen fällt in diesem kosmischen Großspektakel die Rolle zu, die von Gott emanzipierten Schöpfungsgedanken auszuführen und zu interpretieren. Mit einem solchen Konzept nähert sich Ferrucci einem durch Geschichte und Psychoanalyse hindurchgegegangen ursprünglich manichäistischen Gott, der jetzt nur mehr etwas ratlos vor seinem rebellischen Kind steht, sich dafür aber selbst etwas besser kennengelernt hat. Uns kommt es zu, als kosmische Hauptakteure das Spiel mit der göttlichen Substanz weiterzuführen. Wohin, weiß niemand. Der Irrtum ist niemals ausgeschlossen. Irren ist schließlich nicht nur menschlich, sondern auch göttlich. Daß in diesem Spiel gelitten werden darf, steht außer Frage. Zwar wird, obwohl der Herr doch Hitler begegnet, der nazistische Völkermord mit keinem Wort erwähnt, aber dafür die Bombe, die Sloterdijk die Wiederkehr Jesu Christi unter negativem Vorzeichen nannte. „Ich explodierte 1945 über Japan“, sagt der nach Selbsterkenntnis strebende Gott lapidar und steigt als Pilz von seiner auf Erden entfachten Hölle auf, um nicht seine eigenen Schreie und Qualen vernehmen zu müssen.

Vielleicht ist es jetzt an uns, uns zu ärgern. Denn jetzt sind wir es, die definiert werden in diesem Programm mit vielen Unbekannten, als frei gewordene Produkte Gottes, dazu verurteilt, ihn mit unserem Dasein zu unterhalten und zu interpretieren.

Es könnte einem übel aufstoßen, die Hölle auf Erden in einem Gott außer Kontrolle geratenen Schöpfungsplan entschuldigt zu sehen. Selbst dann, wenn man die Fürsten der Finsternis als Repräsentanten des Bösen akzeptiert. Denn es war nicht Christus, sondern der Teufel, der alle Schuld der Welt auf sich nahm: der Teufel, dessen Sünde vor allem darin besteht, der Teufel zu sein, da, woraus Gott die Welt geschaffen hat, jenes Nichts, das sich im Sein und der Seele Gottes gleichermaßen immer wieder zu Wort meldet.

Aus der Sicht der alleinseligmachenden Kirche ist Ferruccis Buch zweifelsfrei als ketzerisch zu verurteilen.

Franco Ferrucci, „Die Schöpfung. Das Leben Gottes, von ihm selbst erzählt„; Hanser, München/Wien, August 1988; 406 Seiten, 39,80 Mark