„Jeder Politikbereich ist frauenrelevant“

Gisela Böhrk ist seit 100 Tagen Frauenministerin in Schleswig-Holstein / Erster Erfolg: Amtsbezeichnung „Ministerin“ soll eingeführt werden  ■ P O R T R A I T

Nun hat sie schon wieder ihr Feuerzeug verkramt. Nervös tasten ihre Hände die Papiere ab, die auf dem Couchtisch verstreut sind. „Das ist nicht mein Morgen“, Gisela Böhrk, Frauenministerin in Schleswig-Holstein, zieht ihre Augenbrauen zu einer steilen Stirnfalte zusammen und schüttelt den Kopf. Als erste Frauenministerin dieser Republik „ohne Anhang“ (sie ist befreit von der Fürsorge um Jugend-Familie-Gesundheit) regiert sie seit 100 Tagen mit im Kabinett Björn Engholm. An diesem Montagmorgen kam sie schon sehr früh aus ihrer Heimatstadt Lübeck nach Kiel. Sie ist unausgeschlafen. Seit 18 Jahren ist sie in der SPD, zwölf Jahre saß sie im Landtag (zuletzt als stellvertretende Fraktionsvorsitzende). „Es gibt keinen Politikbereich, der nicht frauenrelevant ist“, da ist sie sich absolut sicher. Deshalb hat sie auch kein Ressort im traditionellen Sinn, mit großem Verwaltungsapparat, klar abgegrenzten Zuständigkeiten und Kompetenzen, sondern nur eine kleine „Stabsstelle“. Wenn alle Referentinnen eingestellt sind, werden sie zusammen nicht mehr als 18 Leute sein. Damit will die Frauenministerin in alle anderen Ressorts hineinregieren. „Ich bin optimistisch, daß wir das schaffen“, lacht Gisela Böhrk und sagt, was sie wahrscheinlich schon x-mal wiederholt hat: „Für die SPD in Schleswig-Holstein ist Gleichstellungspolitik seit zehn Jahren ein Schwerpunkt. Nicht nur in der Partei, sondern auch in der Regierung.“ Vier Ministerinnen sitzen im Kabinett, der Landtag hat eine Präsidentin, und Björn Engholm hat auch die Leitung der Staatskanzlei einer Frau übertragen. Gisela Böhrk ist die erste Frauenministerin, die man ernst nehmen muß - weil sie die Rechte hat, die die Ministermacht ausmachen: Sie hat das Veto- und das Initiativrecht. Damit kann sie frauenfeindliche Gesetze abblocken und frauenfreundliche Politik anregen. Außerdem hat sie das Recht auf eigenständige Öffentlichkeitsarbeit, das heißt, sie hat die Möglichkeit eigene Public-Relation -Kampagnen zu starten.

Um ein Veto- und Initiativrecht bat zum Beispiel Rita Süssmuth ihren Kanzler Kohl vergeblich - eine Bundesfrauenministerin ist sie nach dieser Niederlage wirklich nur noch auf dem Papier. Aber auch Gisela Böhrk wird keinen leichten Stand haben, bleibt sie doch immer auf die Einsicht und Handlungsbereitschaft ihrer Kolleginnen und Kollegen im Kabinett angewiesen. Macht ihr das angst? „Nein, überhaupt nicht. Ich bin hier keine Einzelkämpferin allein auf weiter Flur. Mit unserem Ziel, Frauenpolitik voranzubringen, bewegen sich meine Kolleginnen und ich in diesem Kabinett in einem positiven Umfeld.“

Genau daran mangelte es beispielsweise in Hessen zu den Zeiten der rot-grünen Koalition. Als Marita Haibach (als grüne Staatssekretärin) und Vera Rüdiger (rote Ministerin für Wissenschaft und Kunst und Beauftragte für Frauenfragen) versuchten, Frauenpolitik zu machen, stießen sie bei ihren Kollegen im Kabinett auf taube Ohren. Die hessische SPD hatte kein frauenpolitisches Konzept, und Hessens Grüne hatten zwar ein Frauenprogramm, aber auf Regierungsebene keinerlei Ambitionen, Frauenpolitik zu einem ernstzunehmenden Faktor zu machen. So strampelte diese kleine Stabsstelle in Wiesbaden mühselig und vergeblich gegen den herr-schenden mainstream.

Das Frauenministerium in Schleswig-Holstein dagegen hat ein politisches Fundament. Gisela Böhrk war schon 1979 Leiterin einer Gruppe „Gleichstellung zwischen Männern und Frauen“ in der Landtagsfraktion. Diese Gruppe war je zur Hälfte mit Männern und Frauen besetzt und erarbeitete ein Programm, das nach heftigen Diskussionen 1981 zur Leitlinie der SPD -Frauenpolitik in Schleswig-Holstein gemacht wurde.

Auch deshalb kann Gisela Böhrk schon nach 100 Tagen Regierungszeit einen ersten Erfolg vorweisen. Sofort nach Regierungsantritt sollten die Gesetze geändert werden, die den Sprach-Unsinn vorschreiben, nur männliche Bezeichnungen für Ministerinnen zuzulassen („Der Minister für Finanzen: Heide Simonis“). „Dieses Gesetz habe ich angehalten“, sagt Gisela Böhrk gelassen, denn die geplante Neuformulierung paßte der Frauenministerin nicht. „Wenn das Amt eine Frau innehat, ist die weibliche Bezeichnung zu wählen“, so lautete der neue Vorschlag. „Aber solch eine Formulierung geht davon aus, daß die männliche sprachliche Form und der männliche Amtsinhaber der Normalfall ist. Das akzeptieren wir nicht.“ Deshalb wird es in Zukunft heißen: „Die oberste Landesbehörde sind der Minister bzw. die Ministerin.“

Schon in diesem Herbst will Gisela Böhrk Frauenförderung im öffentlichen Dienst „sehr schnell auf die Schiene setzen.“ Ihr Handlungsspielraum dabei ist freilich begrenzt. Denn „hineinregieren kann ich nur in die obersten Landesbehörden.“ Was in den Kommunen geschieht und was sich in der Wirtschaft tut - darauf hat sie keinen direkten Einfluß. Aber dort, wo sie regieren kann, soll alles unternommen werden, um mehr Frauen in leitende Positionen zu bringen. „Zuerst werden meine Kolleginnen und Kollegen im Kabinett ihr jeweiliges Haus anweisen, eine Bestandsaufnahme zu machen. Dann möchte ich, daß von jedem Ministerium eigene konkrete Vorschläge gemacht werden.“ Dieses flexible Vorgehen ist ihr wichtig, und „daß sie sich selbst Ziele setzen“. Fallen diese zu bescheiden aus, „dann mache ich ihnen klar, daß mehr drin ist. Mindestens die Hälfte aller Neueinstellungen und Beförderungen müssen an Frauen gehen. Denn in Schleswig-Holstein müssen deutliche Zeichen gesetzt werden.“

Gunhild Schöller/Kiel