IG Chemie setzt auf Konfrontation

Endgültige Absage an ausgeschlossene Boehringer-Vertrauensleute / Boehringer-Betriebsrat: Parolen über Mitbestimmung zu ernst genommen / Rappe fordert „runden Tisch“ mit Unternehmern und Parteien  ■  Aus Karlsruhe Martin Kempe

Auf ihrer Pressekonferenz zu Beginn des 13.Gewerkschaftstages der Industriegewerkschaft Chemie hegten die ausgeschlossenen Vertrauensleute von Boehringer noch einen letzten Funken Hoffnung. „Die IG Chemie kann es sich doch nicht so einfach machen und über alles hinweggehen“, meinte der ebenfalls geschaßte Betriebsratsvorsitzende Karl-Heinz Blaull im rauchigen Hinterzimmer einer Karlsruher Kneipe. Aber die IG Chemie kann das durchaus. Schon einen Tag später, am Montag morgen bei den mündlichen Rechenschaftsberichten der geschäftsführenden Vorstandsmitglieder, stellte Vorstandsmitglied Wolfgang Schultze in der pompösen, vollklimatisierten Karlsruher Stadthalle unmißverständlich fest: „Die Ausschlußverfahren sind nach der negativen Entscheidung des Beschwerdeausschusses in zehn Fällen abgeschlossen.“ Lediglich in einem Fall hatte der IG-Chemie -Beschwerdeausschuß die Ausschlußentscheidung aufgehoben und dem Hauptvorstand zur erneuten Beschlußfassung vorgelegt.

Die Hoffnungen auf einen letzten Rest an Kompromißbereitschaft können sich die aufmüpfigen Boehringer -Gewerkschafter abschminken. Sie wollten zunächst noch den Verlauf des Gewerkschaftstages abwarten, um dann in den nächsten zwei Wochen über ihr weiteres Vorgehen zu entscheiden. Ob sie mit juristischen Mitteln gegen ihren Rausschmiß vorgehen wollen, haben sie noch nicht diskutiert. Die Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs, die seit 1986 die Ausschlußmöglichkeiten der Gewerkschaften eingeschränkt hat, bezieht sich nur auf die Kandidatur oppositioneller Betriebsratslisten, nicht auf verweigerte Unterstützung von externen gewerkschaftlichen Aufsichtsratsmitgliedern wie im Fall Boehringer. Das Vorschlagsrecht der Gewerkschaftsführung für solche Aufsichtsratsmandate gehört für Schultze zum „Kernbestand des Mitbestimmungsgesetzes“. Die Boehringer-Vertrauensleute wollten es „unterlaufen“. Schultze: „Einheitliches Handeln kann so nicht mehr stattfinden.“

Einheitliches Handeln - das gilt für die IG Chemie wie für keine andere Gewerkschaft im DGB - wird durch Order aus der Hannoveraner Zentrale hergestellt. „Wir haben offenbar die ganzen gewerkschaftlichen Parolen über Mitbestimmung usw. zu ernst genommen“, resümierte Boehringer-Betriebsrat Blaull zum Auftakt des Gewerkschaftstages. In der Tat: „Die Zeiten der Integration sind vorbei“, war den Boehringern nach der gescheiterten Wahl der Aufsichtsratskandidaten des Hauptvorstandes bedeutet worden. Integration sucht die IG Chemie nicht zu ihren aktiven Mitgliedern, die gewerkschaftspolitisch etwa das vertreten, was in der IG Metall offizielle Vorstandspolitik ist, sondern zu den Trägern des bundesdeutschen Machtkartells. Schon vor vier Jahren hatte der IG-Chemie-Vorsitzende Hermann Rappe zu einer „gesamtgesellschaftlichen Verabredung“ zwischen Regierung, Tarifparteien und anderen Verbänden zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit aufgerufen. Jetzt wärmte Rappe diesen Vorschlag während der Eröffnungsveranstaltung am Sonntag wieder auf: Alle drei Parteien, die „heute hier vertreten sind“ (CDU, FDP, SPD - die Grünen ausdrücklich nicht), sollten sich mit Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern an einen „runden Tisch“ setzen.

Und auch den Chemie-Unternehmern bot Rappe Zusammenarbeit an. In vielen Bereichen gebe es diese Kooperation bereits, so in der Forschungs-, Technologie- und Energiepolitik. „Ich will dieses Konzept heute ergänzen und das Angebot zu Kooperation in der Europa-Politik machen.“ Wer eine solche Politik als reformistisch oder rechts kritisiere, dem will Rappe „ohne Umschweife“ sagen: „Dies läßt mich seit langem kalt.“