Geiseldrama: Polizei enttarnte sich selbst

Ein der taz vorliegendes Protokoll aus Nordrhein-Westfalen läßt den Schluß zu, daß ungeschicktes Polizeiverhalten die Geiselfreilassung verhinderte  ■  Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Die offizielle Darstellung des Gladbecker Geiseldramas ist in einem entscheidenen Punkt äußerst unglaubwürdig geworden. Aus dem der taz vorliegenden vertraulichen Protokoll des Düsseldorfer Innenausschusses geht hervor, daß die Freilassung der Geiseln in Bremen-Vegesack nicht durch eine Rundfunknachricht gescheitert ist. Diesen Eindruck hatte des Staatssekretär im Düsseldorfer Innenministerium, Wolfgang Riotte, bei seiner Anhörung vor dem Düsseldorfer Hauptausschuß erweckt. Durch die Aussagen der Polizeibeamten vor Ort wird diese Version nicht gestützt. Das Ausschußwortprotokoll läßt den Schluß zu, daß die Polizei sich durch ungeschicktes Verhalten selbst enttarnte und damit zur Eskalation des Geiseldramas entscheidend beitrug.

Nach Darstellung von Riotte soll eine NDR-Meldung - Polizei hat Verfolgung aufgenommen - am Mittwoch um 14Uhr bei den Geiselnehmern zu „hektischen Reaktionen“ und zur Verhaltensänderung geführt und die unmittelbar bevorstehende Geiselfreilassung verhindert haben. Der Kommandoführer vor Ort berichtet davon nichts. Die Atmosphäre des abgehörten Gespräches im Wageninnern sei „insgesamt locker“ gewesen. Nach einem Stopp in Bremen-Vegesack haben die Geiselnehmer mehrfach versucht, ein neues Auto anzumieten bzw. zu kapern. Dies ist um 16 Uhr 55 bei der „Hansa-Autovermietung“ gelungen. Die Täter stiegen in einen nicht präparierten BMW um, der also weder angepeilt noch abgehört werden konnte. „Von hier an“, so heißt es im Protokoll, „mußten wir mehr oder weniger auf Sichtobservation fahren. Wir haben versucht, das so locker wie irgend möglich zu gestalten“.

Der Gladbecker Einsatzleiter sagte vor dem Ausschuß, daß es Kontakte von Polizeibeamten zu den Autoververmietungen gegeben haben müsse, die zu einem „eigenartigen“ Verhalten der Angestellten geführt hätten - auch Fortsetzung auf Seite 2

bei der „Hansa-Vermietung“. Der Einsatzleiter wörtlich: „Von da an war auch für die Geiselnehmer klar, daß die Polizei sie nicht aus den Augen verloren hatte, sondern daß die Polizei ihnen weiterhin auf den Fersen war“. Das nordrhein -westfälische Innenministerium erklärte dagegen, daß NRW -Beamte keinen Kontakt zu Autovermietern gehabt hätten.

Für eine „Medienschelte“ gebe es in Bremen-Vegesack „keine Anhaltspunkte“, sagte der Gladbecker Einsatzleiter Meise weiter. Eine Umfrage bei allen infrage kommenden Sendeansatlten durch die „Süddeutsche Zeitung“ deckt diese Aussage. Keine Anstalt hat demnach in der fraglichen Zeit die von Riotte behauptete Meldung gebracht.

Die Eskalation hat sich die Polizei durch ihr auffälliges Verhalten offenbar selbst zuzuschreiben. Gegen 18 Uhr 20, so sagte eine anderer Einsatzleiter laut Protokoll, „telefoniert die männliche Geisel, Herr Alles, mit der Zentrale in Bremen und gab wieder die Forderung der Täter durch, die Polizei solle abziehen. Offensichtlich war dort in Bremen die Polizei erkannt. Ich kann das im einzelnen nicht nachvollziehen, vermute aber, daß dort Kräfte offen gezeigt worden waren . . .“. Kurze Zeit später erfolgte die Buskaperung mit dem bekannten Ausgang.

Daß die Geislenehmer von der Verfolgung der Polizei schon früher Wind bekommen hatten, belegt ebenfalls das Protokoll. Ständig hätten in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch die Angehörigen der Geiseln in der Einsatzleitstelle angerufen , „weil die Täter und auch die Geiseln mit zu Hause telefoniert hatten“. Deren Forderung: „Die Polizei soll weg, damit wir hier wegkommen; die Täter lassen uns sonst nicht frei“. Danach zog sich die Polizei dann auch etwas zurück, bis - siehe Bremen - zur nächsten Enttarnung. Daß bei diesem Verhalten das offizielle Polizei-Konzept, die Täter in Sicherheit zu wiegen und zur Freilassung zu bewegen, nicht aufgehen konnte, wird wohl auch Innenminister Schnoor eingestehen müssen, der dazu am heutigen Mittwoch im Landtag Rede und Antwort stehen muß.