„Der Möwenzüchter“

■ Reiner Schopf ist seit 15 Jahren einziger menschlicher Bewohner der Insel Memmert / Als Naturschützer wird er von benachbarten InsulanerInnen heftig angefeindet

Die Vogelinsel Memmert liegt zwischen ihren großen, asphaltierten Schwestern Borkum und Juist. Auf ihrem drei Kilometer langen Sandstrand an der Westküste sonnen sich keine TouristInnen, sondern Seeschwalben und angeschwemmte Seehundkadaver. Reiner Schopf lebt seit 15 Jahren einsam auf Memmert. Er ist angestellt beim Bauamt für Küstenschutz in Norden und zuständig für die Dünenpflege und den Vogelschutz. Er bepflanzt angegriffene Dünen mit Strandhafer und errichtet Sandbankzäune. Er ermittelt die Zahl der brütenden Tiere, der Gast- und der durchziehenden Vögel, notiert seismographisch genau die Veränderungen und ihre Ursachen: „Von der Störung durch Hubschrauber bis zu großräumigen Sandverlagerungen.“ Er hat sich als Kritiker ungebremsten Fremdenverkehrs unbeliebt gemacht bei der Bevölkerung der Nachbarinseln und ist als „Möwenzüchter“ verschrien:

taz: Wie wirkt sich die Katastrophe der letzten Monate auf Memmert aus?

Reiner Schopf: Seit 15 Jahren bin ich auf der Insel, seit 15 Jahren

sind die Strände voll von Müll und Ölpest. Es ist verblüffend, daß man jetzt so tut, als wäre das was Neues mit dem schlimmen Zustand der Nordsee. Seit Ende Juni habe ich 37 tote Seehunde gefunden. Fünf Kadaver liegen noch auf einer vorgelagerten Sandbank. Und während eines einzigen Hochwassers habe ich 55 tote Austernfischer gefunden. Das sind langbeinige, langschnäblige Küsten-Vögel. Rote Beine, rote Schnäbel und ein schwarz-weißes Gefieder.

Aber das Traurige ist, daß das auf den anderen Inseln verharmlost und verschwiegen wird. Auf Juist werden die Zahlen der angetriebenen toten Seehunde nicht bekannt gegeben. Auf Norderney gehen Gerüchte, daß die Gemeindeangestellten zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.

Steuert die Verwaltung des Nationalparks Wattenmeer nicht gegen?

Reiner Scholz: Die Nationalparkbehörde in Wilhemshaven hat zu wenig Kompetenzen und geht zu viele Kompromisse ein. Sie hat jetzt sogar gestattet, daß in der Ruhezone, in der Emsmündung, nach Erdgas gesucht werden darf.

Es ist so bedrückend, daß die Bevölkerung alle Anzeichen so ignoriert hat. Die Möweneier werden immer dünnschaliger, ihr Kalkstoffwechsel ist durch die chemische Belastung gestört. Der Bestand an Seeschwalben hat sich verändert, es gibt weniger Nachkommen. Die Vögel brauchen Ruhe auch außerhalb der Brutzeit, z.B. in der Mauser, sie müssen sich Fettreserven anfressen, um Zug und Winter einigermaßen überstehen zu können. Seeregenpfeifer und Säbel-Schnäbler sind hochgradig gefährdet.Aber ein guter Teil der Bevölkerung der umliegenden Inseln steht dem Naturschutz ablehnend gegenüber - aus Sorge, daß sie selbst oder Feriengäste Einschränkungen unterworfen werden. Für viele Menschen sind Naturschützer größere Feinde als die Verursacher der Nordseevergiftung.

Sind Sie auch ein Feind?

Reiner Schopf: Ja. Das ist eines der

bedrückendsten Dinge. Ich bin als Extremist und als 'Möwenzüchter‘ verschrieen.

Als Möwenzüchter?

Reiner Schopf: Nun. Die Möwe ist ein Kulturfolger und hatte früher viele Winterverluste. Jetzt aber hat sie stark zugenommen, weil sie durch den vielen Müll so gut über den Winter kommt. Die Möwe verdrängt andere Vögel von den Nistplätzen, frißt anderen Arten die Eier und die Küken weg. Auf Memmert brüten viele Silbermöwen. Diese Entwicklung wird mir persönlich angelastet. Man sucht sich einen Sündenbock.Es gibt auch Leute, die finden es richtig, daß die Seehunde eingehen. Denn sie machen die Seehunde für den Fischrückgang verantwortlich und nicht die Verschmutzung.

taz: Bei diesem Stand der Misere: Sollen sich die Bremer UrlauberInnen von den ostfriesischen Inseln zurückziehen?

Reiner Schopf: Nein. Wir haben jetzt 12 Millionen Übernachtungen auf den Inseln und an der Festlandküste. Man kann die Entwicklung nicht zurückdrehen. Ich bin dagegen zu sagen: 'Wir sollen Opfer bringen‘. Aber ich würde empfehlen, kritisch zu sein, sich nicht durch sogenannte wattkundige Insulaner was vormachen zu lassen. Sich mit der Natur in Bezug zu setzen, sich zu interessieren: Was gibt es für Lebensgemeinschaften? Nicht bedenkenlos überall in der Landschaft rumzurennen. Das sehe ich nicht als Einschränkung oder als Opfer, denn von einer intakten Natur haben alle einen Gewinn.

Man soll den Fremdenverkehr nicht zurückschrauben, aber ihn in eine andere Richtung lenken. Qualität statt Quantität.

taz: Auf Spiekeroog gibt es keine Hotelklötze und keine Autos, ist das ein Modell?

Reiner Scholz: Auch ohne Fahrzeug und Giftspritze, allein durch seine Anwesenheit richtet der Mensch Schäden in empfindlichen Biotopen an. Ich sehe auf keiner Insel eine wirkliche Abkehr von der alten Richtung Komfort und Erschließungsmaß- nahmen. Der ehemalige Bürgermeister von Spiekeroog hat zwar früher sehr gute Naturschutz-Positionen vertreten, inzwischen schwenkt er aber mehr und mehr auf Positionen des Fremdenverkehrs ein. Die Gemeinden sind nicht bereit, Kernzonen der Inseln als Schutzzone anzuerkennen, die wollen überall Wege durchhaben für ihre Touristen.

Haben Sie in all dem Niedergang nicht eine sehr deprimierende Aufgabe?

Reiner Scholz: Ich hatte früher trotz allem immer die Hoffnung, daß sich irgendwann der Naturschutz bei der Bevölkerung mehr durchsetzen würde. Inzwischen ist die Hoffnung sehr gering geworden.

Gespräch: B. Debus