Die bittere Flucht in eine unsichere Zukunft

Hunger und Bürgerkrieg im Süd-Sudan zwingen die Menschen zur Flucht in den Norden des Landes / Islamische Fundamentalisten am Zuge  ■  Aus dem Sudan Ch. Wichterich

Der Fluß Bahr el-Arab bildet die Grenze zwischen dem arabischen Sudan und dem schwarzafrikanischen Sudan, zwischen muslimischem Norden und christlich-animistischem Süden, zwischen Herrschaft und Knechtschaft. Täglich kommen hier Flüchtlingsgruppen aus dem Süden an, zumeist Frauen und Kinder. Sie flüchten vor Hunger und Bürgerkrieg in eine unsichere Zukunft. Denn der Norden nimmt sie nicht eben mit offenen Armen auf. Viele schaffen es nicht bis hierher, sterben auf dem Weg an Entkräftung.

Überschwemmungen haben auch im Süden die Wege unpassierbar gemacht, Städte wie Aweil und Al-Meiram sind von der Außenwelt abgeschnitten. „Die Regierung interessiert sich nur für den Norden, sie ignoriert den Süden“, klagt der Militärkommandant der Provinz Bahr el Gazal, Abugroun Abdullah Abugroun. täglich sterben in Aweil so viele Menschen an Hunger wie während der Überschwemmungskatastrophe im Norden insgesamt“, sagt Abugroun. Vehement dementiert dagegen die Regierung in Khartoum jeden Bericht, sie würde Hilfslieferungen in den Süden unterbinden. Doch ausländische Helfer urteilen, daß sie „Hunger als Waffe gegen den Dinka-Stamm einsetzt, die wichtigsten Unterstützer John Garangs“.

John Garangs sudanesische Volksbefreiungsarmee (SPLA) kämpft seit 1983, als der damalige Präsident Gafaar Numeiri dem ganzen Land, also auch den Christen und Animisten des Südens, die „Sharia“, das traditionelle islamische Recht, verordnete. Der Bürgerkrieg wird seither mit auf beiden Seiten wachsender Grausamkeit geführt. Die Armee hat muslimische Volksgruppen aus dem westlichen Südsudan mit modernen Gewehren zu Milizen aufgerüstet, die ihre neue Überlegenheit über ihre alten Rivalen, die christlich -animistischen Dinka, nutzen, um die Sklaverei wiederzubeleben. Sie rauben Männer und Frauen für die Landarbeit. Kinder werden angeblich nach Libyen und Saudiarabien verkauft. Regierungssoldaten und Milizen treiben mit ihren Massakern und der Strategie der verbrannten Erde die Menschen vom Land in die noch von den Regierungstruppen gehaltenen Städte. Dort finden sie zwar eine gewisse Sicherheit, oft aber keine Nahrung.

Viele Menschen versuchen, in den Norden zu fliehen, wo Hunderttausende in Khartoum und Kassala notdürftig Zuflucht gefunden hatten, bis sie durch die Überschwemmungskatastrophe erneut vertrieben wurden. Andere flüchten in den Osten über die sudanesische-äthiopische Grenze. Garang sieht sich weder als Separatist, noch zielt er allein darauf, den Süden vor der Islamisierung zu bewahren. „Die SPLA erstrebt die Schaffung eines neuen, geeinten Sudan“, versichert er, „der alte Sudan, den wir bekämpfen, basiert auf religiösem und rassistischem Sektierertum.“

Herrscher und Ausbeuter kamen immer aus dem Norden. Zuerst war es die britisch-ägyptische Kolonialmacht, dann die arabische islamische Bevölkerungsmehrheit. Nach dem Sturz Numeiris 1985 standen die Zeichen kurzzeitig auf Einigung. In der Koka-Dam-Deklaration erklärten sich im März 1986 die Führer der demokratischen Parteien bereit, eine Verfassungskonferenz unter Beteiligung der SPLA über die Rolle der „Sharia“ entscheiden zu lassen. Doch dazu ist es bislang nicht gekommen. Statt dessen hat Premierminister Sadek el Mahdi den politischen Einfluß konservativer arabischer Muslims ausgebaut. Seine im Mai geschmiedete Regierungskoalition der „Nationalen Einheit“ aus Al Mahdis Umma-Partei und der Nationalen Islamischen Front (INF) stellt einen gravierenden Wendepunkt in der Politik dar. Die Fundamentalisten, bislang wichtigste und aggressivste Oppositionsgruppe, sind nun am Zuge, die gemäßigten Parteien und die wenigen Abgeordneten des Südens, die sich noch um eine Einigung bemüht hatten, stehen außen vor. Mit der Ankündigung, die 60.000-Mann-Armee weiter aufzurüsten, ging Al Mahdi gleichzeitig in die Offensive. Un er sucht Verhandlungen mit Äthiopien für ein Geschäft auf Gegenseitigkeit mit dem Ziel, der SPLA ihren Lebensnerv abzuschneiden. Addis Abeba soll seine - bislang offiziell stets dementierte - Unterstützung für Garangs Mannen einstellen, im Gegenzug bietet Khartoum an, die Hilfe für die Befreiungsbewegungen in Eritrea und Tigray zu suspendieren.

Die „biblischen Plagen“, die in den letzten Wochen über den Sudan gekommen sind - Dürre, Überschwemmungen, Heuschreckenschwärme - haben den Premierminister anscheinend jedoch gesprächsbereit gemacht. Regierungs- und Oppositionsvertreter sollen einen Friedensplan für den Süden erarbeiten, die Verfassungskonferenz über die „Sharia“ soll nun doch bis Ende dieses Jahres einberufen werden. Man darf gespannt sein auf die Reaktion der fundamentalistischen Hardliner in der Regierung.

Die „Oraomo Relief Association“ (ORA), die im Süd-Sudan als Hilfsorganisation arbeitet, bittet um Spenden auf das Postgirokonto Hannover 522 922-302