Rom diszipliniert seine Richter

Sozialistischer Justizminister eröffnet Disziplinarverfahren gegen fünf rührige Untersuchungsrichter  ■  Aus Rom Werner Raith

Die Arbeit war schwer, doch nun ist sie getan: Mit Erfolg. Nach dem Gesundheits- und Sozialwesen, der Polizei und den Finanzbehörden ist es Italiens Regierung nun endlich gelungen, auch noch die letzte einigermaßen intakte Säule des demokratischen Staates zum Kippen zu bringen, die Rechtspflege. Der sozialistische Justizminister hat gegen fünf Untersuchungsrichter in Neapel Disziplinarverfahren eingeleitet. Die Richter hatten in ihren Anklageschriften Zeugenaussagen wie üblich mit den Prädikaten „glaubwürdig“ und „unglaubwürdig“ versehen - und dabei nicht bedacht, daß es sich bei den Zeugen um Politiker handelte. In ihren Aussagen zu dem Fall eines 1980 von Rotbrigadisten entführten und dann mit Camorra- und Geheimdiensthilfe für 10 Millionen Mark freigekauften Parteikollegen sollen die beiden Zeugen nach Ermittleransicht kräftig gelogen haben. Doch das Prädikat „unglaubwürdig“ ist nach Justizminister Vasallis Meinung gegenüber den Politikern „eine schwere Überschreitung der amtlichen Befugnisse, da die beiden Zeugen und nicht Angeklagte sind“. Bei Normalbürgern dagegen ist ihm solches noch nie eingefallen.

Der Schritt Vasallis dient zweifellos der weiteren Destabilisierung und Entmündigung der Justiz, die bisher noch einigermaßen couragiert Skandale aufgedeckt hat. Bereits vor einem halben Jahr hat derselbe Justizminister ein Gesetz eingebracht, das bei Justizirrtum nicht wie andernorts den Staat, sondern die Ermittler und Richter persönlich zur Kasse bittet. Weiterhin hatten die in Rom Regierenden mißliebige Ermittlungsstellen, wie zum Beispiel den Antimafia-Pool in Palermo, so lange schikaniert, bis diese arbeitsunfähig wurden und damit ihr Stochern gegen die Verwicklungen von Politikern in Mafia-Geschäfte aufgeben mußten.

Daß der Sozialist Vasalli sich so für die von seiner Partei ganz und gar nicht geliebten Christdemokraten in die Bresche wirft, läßt darauf schließen, daß über kurz oder lang weitere Disziplinarmaßnahmen gegen Ermittler, die sich an PSI-Funktionäre und -Minister herangewagt haben, folgen werden. Und solcherlei Verfahren sind derzeit gleich mehrere Dutzend anhängig.