Tröten, Differenzen, schöne Worte

■ Der erste Tag der „Bremer Kulturtagung“ im Haus der Bürgerschaft mit Vortrag, rasselndem Zwischenspiel und dem ersten Podiumsgespräch: „Das professionelle Musikleben“

Lang hat es nicht gedauert - nur bis zum ersten Podiumsgespräch -, daß auf der „Bremer Kulturtagung“, veranstaltet vom Landesmusikrat Bremen in den Räumen der Bügerschaft (s. taz vom 8.9.), Feindseligkeiten zwischen den Musik-Interessengruppen aufgebrochen sind. „Den Feind wollen wir doch hier herausarbeiten. Der steht doch ganz woanders“, beschwor Prof. Klaus Bernbacher, Moderator des Podiumsgesprächs zum Thema „Das professionelle Musikleben“, das Auditorium.

Schnell nämlich hatte sich Referent Dr. Hartmut Lück, Musikwissenschaftler und Journalist, einen großen Teil des Fachpublikums zum Feind gemacht: Er hatte die Dreistigkeit besessen, nicht nur die finanziell desolate Lage des Bremer professionellen Musiklebens darzustellen, sondern auch die der musikalischen Ausbildung, also zu fragen, warum eigentlich in Konzerten wie dem von Karlheinz Stockhau

sen - und nicht nur da - keine Studenten und Hochschullehrer der „künstlerischen Hochschule“ für Musik zu sehen wären.

„Wozu studiert jemand Musik, wenn er nicht in Konzerte geht?“

Da waren die Herren Kauffmann und Seibert von der HKM natürlich mopsbeleidigt und nutzten die Gelegenheit, dem Musikkritiker Hartmut Lück endlich mal öffentlich vorzuwerfen, was er sage und schreibe, sei „plakativ, arrogant und undifferenziert“. Herr Seibert sprang mutig seinem Kollegen zur Seite und schnaufte: „Auch hinsichtlich der Pressefrage da, da kann ich mich nur an Herrn Kauffmann anfügen.“ Man merkte, auch ohne die Querelen näher zu kennen: Lück hatte offensichtlich voll ins Schwarze getroffen.

Auch andere, auf dem Podium und im Publikum, bezogen sich immer wieder ablehnend auf Hartmut Lück - „da kann ich ihm nicht zustimmen“ -, und als ziemlich unbedarfte Beobachte

rin fragte ich mich, in welches Wespennest der scharf konstatierende Referent da wohl gelangt hat? Und hatte er nicht recht mit seinem polemischen letzten Satz: „Eine kühle Analyse ist notwendig und eine durchdachte Strategie - keine moralischen Appelle an die Politiker. Denn Politiker interessieren sich im allgemeinen weder für Kultur, noch für Moral.“

Aber Journalisten haben immer auch ein bißchen was vom Geier und stürzen sich gern auf das, was lärmt und sich bewegt. Dort, wo es ruhiger zugeht, sehen sie nicht so gerne hin. Und ruhig ging es zum Beispiel zu im Eingangsvortrag von Staatsrat Prof. Wolfgang Gönnenwein, Generalintendant des Staatstheaters Stuttgart - aus einem Land, wo „Milch und Honig fließt“ (Bernbacher). Gönnenwein wollte das Thema der Tagung korrigieren: „Kultur - Grundrecht für eine menschliche Gesellschaft“: „Grundrecht klingt zu formal,

man sollte eher von einer Grundvoraussetzung des Lebens sprechen.“ Demokratisierung von Kunst, meinte er, dürfe nicht mißverstanden werden als Anpassung an den Markt, sondern müsse im Sinn von Josef Beuys gemeint sein: „Jeder Mensch ist Künstler“ insofern, als jeder Mensch sich prinzipiell angesprochen fühle von Kunst.

Und dann sprach er von der „volkswirtschaftlichen Bedeutung“ der Kunst. Im Kunstbereich, sagte er, werde pro Jahr ein Umsatz von 40 Milliarden Mark gemacht. Dem stehe eine Subventionssumme von sechs Milliarden Mark gegenüber und ein „steuerlicher Rückfluß“ aus dem Kunstbereich von neun Milliarden. Und wenn einem bei dem Gedanken, daß sich Kunst volkswirtschaftlich rechnet, ganz blümerant zumute wird, ist diese Denkweise doch konsequent, wenn man die Wirtschaft für Investitionen in Kunst und Kultur gewinnen will. Doch bei aller Hochstimmung

über die jährliche Umsatzhöhe im Kunst„sektor“ darf man nicht vergessen - wie jemand in der Pause flachste -, daß Bremen nur an der Subventionshöhe, nicht aber an der Umsatzhöhe beteiligt sei.

Und wie es, bei allen schönen Worten, in Wirklichkeit aussieht, demonstrierte nach Gönnenweins Vortrag die „Offene Jazzschule“ der Musikerinitiative Bremen: Plötzlich erhob sich in jeder Ecke ein Mensch mit Trompete, Tröte oder rasselndem Tambourin. Luftballons und Seifenblasen schwirrten durch den Plenarsaal - ein unerwartetes Spektakel, bei dem manch ein Herr im Anzug nicht recht wußte, welche Miene dazu wohl zu machen sei: Flugblätter wurden verteilt, die auf die katastrophale Raumnot der Jazzschule hinwiesen. Schließlich jedoch entschied man sich, das betont dissonante Zwischenspiel als Belebung zu verbuchen.

Sybille Simon-Zülch