Wider den Individualverkehr Das ganz private Mietauto

Zum erstenmal gibt es in der Bundesrepublik Mietautos auf Nachbarschaftsbasis Wissenschaftliche Auswertung des Pilotprojekts mit Unterstützung des Berliner Senats  ■  Von Dita Vogel

„Stadt-Auto statt Auto“ steht auf dem weißen Opel Kadett mit großer Ladefläche, der im Berliner Stadtteil Kreuzberg in einer ruhigen Seitenstraße am Ufer des Landwehrkanals parkt. Besitzer ist die erste Nachbarschafts-Autovermietung der Bundesrepublik, Nutzer sind neun Nachbarn. Alle MieterInnen haben einen eigenen Schlüssel, den sie nach Abschluß eines Rahmenvertrages gegen (verzinste) 300 Mark Kaution erhalten. Wenn sie fahren wollen, buchen sie einen der zwei gebraucht gekauften Pkws auf einem Anrufbeantworter. Von ihm erfahren sie auch, wann das Gefährt bereits ausgebucht ist. Ist der Wagen frei, kann sofort gestartet werden. Am Monatsende kommt die Abrechnung für gefahrenen Kilometer und Nutzungsdauer.

Ende Juni gründete der Betriebswirtschaftler Markus Petersen das Unternehmen mit einem acht Jahre alten Kadett für 3.500 Mark. Doch Rentabilität und Nachbarschaftshilfe sind zur Zeit nicht die einzigen Unternehmensziele. Petersen wertet die Ergebnisse des Pilotbetriebes wissenschaftlich aus und wird dabei vom Berliner Senat mit einem Promotionsstipendium unterstützt.

Pionier Petersen will mit seinem Projekt einen Weg aufzeigen, wie durch die gemeinsame Nutzung des Konsumgutes Auto natürliche Ressourcen geschont werden können. Ein Nachbarschaftsauto erleichtere die Entscheidung gegen ein eigenes Auto und erziehe zu sparsamem Autofahren bei gleichzeitig weitgehender Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, so seine These. Die fixen Kosten wie Steuer, Haftpflichtversicherung oder auch die Abschreibungen können auf mehrere Auto-Benutzer umgelegt werden.

Die KundInnen von „Stadt-Auto“ beteiligen sich pro Fahrt an den festen Kosten. Sie zahlen 2,80Mark pro Stunde und 15Pfennig pro gefahrenem Kilometer (Benzin inklusive). Tagesausflüge in die DDR kosten pauschal 35Mark plus Benzingeld. „Ein vergleichsweise billiger Opel Kadett kostet sie immerhin 427 Mark im Monat. Dafür können Sie auch 30Fahrten zu je 40Kilometern mit dem Stadt-Auto machen“, rechnet Petersen InteressentInnen vor. Für ihn rentiert sich das Unternehmen, wenn das (vollkaskoversicherte) Auto täglich etwa sechs Stunden ausgenutzt ist, wobei er wegen des Senatsstipendiums seine Arbeitskosten für Tanken, Wartung und Buchführung bislang nicht in die Kalkulation miteinbezogen hat. Petersen singt nach den ersten zwei Monaten Loblieder auf seine NachbarInnen: Sie gingen sehr sorgsam mit den alten Autos um und meldeten unverzüglich, wenn irgendetwas defekt ist - oder der Tank leer ist.

Ob sich das Unternehmen auf Dauer rentieren kann, läßt sich jedoch nach der kurzen Versuchszeit noch nicht abschätzen. Denn es könnte mit den Buchungen eng werden.

Man setzt jedenfalls auf Wachstum. Das ummauerte Berlin bietet gute Voraussetzungen für den Versuch. Fernfahrten sind selten, das gut ausgebaute öffentliche Verkehrssystem läßt sich für viele Wege günstig nutzen, und an jungen, flexiblen Leuten mangelt es auch nicht. Der Doktorant hofft, im Laufe der nächsten beiden Jahre den Autopool auf fünf Autos aufzustocken. Dann erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit, daß ein Auto gerade dann frei ist, wenn jemand losfahren möchte. Danach müßte ein neuer Pool gegründet werden - Petersen „will den wirtschaftlichen Charakter erhalten“. Danach könnte sich das Konzept auf bundesdeutsche Großstädte übertragen lassen und danach...

Von dieser Utopie ist der Wissenschaftler und Jungunternehmer jedoch noch weit entfernt. Erstmal träumt er davon, mit kostenbewußten Stadt-AutofahrerInnen, das Kardinalproblem des Großstadtverkehrs, die Rush-Hour, anzugehen. Denn für Fahrten zur Arbeit, bei der das Auto den ganzen Tag ungenutzt dasteht, lohnt sich ein Mietauto nicht. Da ist für die NachbarInnen öffentlicher Nahverkehr Trumpf.